Die Ratte von Soho
Mit seinen für 20the Century Fox gedrehten Filmen „Zelle R 17“ (1947), „Stadt ohne Maske“ (1948) und „Gefahr in Frisco“ (1949) etablierte sich der US-amerikanische Filmemacher Jules Dassin (1911-2008) als einer der interessantesten Vertreter des Film-noir-Genres, doch geriet er nach Edward Dmytryk und Abraham Polonsky als einer der ersten Regisseure in Hollywood in Fänge des Komitees für unamerikanische Umtriebe und wurde mit einem Berufsverbot belegt. Bei der Postproduktion des komplett in England gedrehten Films konnte Dassin nur noch telefonisch Anweisungen zu Schnitt und musikalischer Untermalung geben, da er das Studiogelände von Fox nicht mehr betreten durfte. Trotz oder gerade wegen dieser widrigen Umstände ist „Die Ratte von Soho“ (1950) einer der kompromisslosesten und düstersten Beiträge der klassischen Film-noir-Ära geworden.
Der in London lebende US-Amerikaner Harry Fabian (Richard Widmark) ist ein cleverer wie ambitionierter Mann, der seiner Freundin im Nachtclub „Silver Fox“ arbeitenden Freundin Mary Bristol (Gene Tierney) zu gern ein unbeschwertes Leben ermöglichen möchte, aber mit seinen hochtrabenden Plänen ständig Schiffbruch erleidet und irgendwelche Gläubiger am Hals hat, vor denen er flüchten muss. Seinen kargen Lebensunterhalt verdient der Kleinganove aber letztlich dadurch, dass er im „Silver Fox“ reiche amerikanische Touristen um ihr Geld erleichtert. Doch als er in einer Box-Arena den berühmten griechischen Wrestler Gregorius (Stanislaus Zbyszko) kennenlernt, der sich abfällig über die modernen Wrestler äußert, hat Fabian bereits den nächsten Coup vor Augen. Er will Londons bekanntester Box-Promoter werden und damit Gregorius’ Sohn Kristo (Herbert Lom) das Heft aus der Hand nehmen. Als Startkapital benötigt Fabian allerdings 400 britische Pfund, die er sich vom schmierigen Nachtclubbesitzer Philip Nosseross (Frank L. Sullivan) erhofft. Der will allerdings nur ins Geschäft einsteigen, wenn Fabian die Hälfte der Summe selbst aufbringt. Unerwartete Unterstützung erhält Fabian von Nosseross‘ Frau Helen (Googie Withers), die ihm die 200 Pfund unter der Bedingung zur Verfügung stellt, dass er ihr eine eigene Nachtclub-Lizenz besorgt.
Für einen erfolgreichen Start seiner Box-Promotion-Firma braucht Fabian allerdings einen zugkräftigen Kampf zwischen Gregorius‘ Protegé Nikolas (Ken Richmond) und dem Strangler (Mike Mazurki), der eigentlich für Kristo kämpft. Nun braucht Fabian weitere 200 Pfund, um den Strangler in seiner Box-Arena auftreten lassen zu können. Er ahnt aber nicht, dass Kristo längst seine Schergen ausschwärmen und eine Prämie von 1000 Pfund auf Fabians Kopf aussetzen hat lassen …
Kritik:
Jules Dassin drehte „Night and the City“ nach dem 1938 veröffentlichten Roman „Nachts in der Stadt“ des britischen Schriftstellers Gerald Kersh und fängt in seinem vorzüglich inszenierten Drama vor allem die schäbige Unterwelt des Londoner Stadtteils Soho ein, wobei die fast ausschließlich nachts spielenden Szenen die düstere, klaustrophobische Stimmung der Geschichte adäquat bebildern.
Richard Widmark („Der Todeskuss“, „Straße ohne Namen“) zeigt als getriebener Kleinganove seine vielleicht beste Darstellung überhaupt. Wenn er bereits in der ersten Szene durch die nächtlichen Straßen gehetzt wird und schließlich in der Handtasche seiner Freundin nach etwas Geld sucht, ist bereits der Ton für den ganzen Film gesetzt. Es wird schnell klar, dass es keinen Ausweg für Fabian aus seinen immerwährenden Schwierigkeiten gibt, dass ihn auch Marys unerschütterliche Liebe nicht vor dem Untergang retten kann.
Dassin erzählt „Die Ratte von Soho“ aus der Perspektive seines getriebenen, egozentrischen und gewissenlosen Antihelden, folgt ihm bei seinen Schwindeleien ebenso wie auf der Flucht vor seinen Gläubigern und den verzweifelten Versuchen, Erfolg zu haben. Dabei nimmt er auf niemanden Rücksicht, treibt alle Beteiligte ins Unglück, Nosseross‘ Frau Helen ebenso wie Gregorius und schließlich sich selbst. Dassin beschreibt in seinem Film eine hoffnungslose Welt voller Lügen, Gier und Verrat. Der Filmemacher muss sich schließlich selbst wie sein Protagonist gefühlt haben. Dassin, der durch Produzent Darryl F. Zanuck die Gelegenheit bekam, die Regie zu „Die Ratte von Soho“ zu führen, um so Amerika verlassen zu können, drehte nach seiner Flucht in Europa weitere großartige Filme wie „Rififi“ (1955), „Der Mann, der sterben muss“ (1957) und „Topkapi“ (1964).
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