Die heilige Johanna
Nach seiner enorm erfolgreichen Film-noir-Phase mit Werken wie „Mord in der Hochzeitsnacht“ (1945), „Frau am Abgrund“ (1950), „Faustrecht der Großstadt“ (1950) und „Engelsgesicht“ (1953) bewies Meisterregisseur Otto Preminger, dass er auch in anderen Genres punkten kann. So inszenierte er 1954 das Abenteuer-Drama „Fluss ohne Wiederkehr“ mit Marilyn Monroe und Robert Mitchum in den Hauptrollen sowie das Musical „Carmen Jones“, ein Jahr darauf den Film-noir-Klassiker „Der Mann mit dem goldenen Arm“ mit Frank Sinatra und das Kriegsdrama „Verdammt zum Schweigen“ mit Gary Cooper. 1957 verfilmte er mit „Die heilige Johanna“ das gleichnamige Drama des Nobelpreisträgers George Bernard Shaw mit der damals 17-jährigen Jean Seberg in ihrer ersten Filmrolle.
Inhalt:
Die 17-jährige Jeanne (Jean Seberg) ist ein einfaches Bauernmädchen und hört regelmäßig die Stimmen von der Heiligen Katharina und der Heiligen Margarete in ihrem Kopf. Als ihr die Stimmen prophezeien, dass sie die französische Armee in Orléans zum Sieg über die Engländer führen und damit den Dauphin (Richard Widmark) zum König von Frankreich machen könne, gelingt es ihr tatsächlich, den Festungskommandanten von Vaucouleurs, Robert de Baudricourt (Archie Duncan), davon zu überzeugen, sie in ein Männerwams zu stecken und zum Dauphin zu schicken. Doch im Palast von Chinon muss Jeanne feststellen, dass der Dauphin ein schwachsinnig und verspielt wirkender Mann ist. Ihr gelingt es schnell, ihn von ihren Visionen zu überzeugen und das Kommando über seine Armeen zu erhalten, wobei sie die Unterstützung von Jean de Dunois (Richard Todd) erhält. Tatsächlich gelingt es Jeanne mit ihren Armeen, Orléans einzunehmen, womit der Krönung des Dauphins als König Karl VII. durch den Erzbischof von Reims (Finlay Currie) nichts mehr im Wege steht. Zwar ist die mutige Jeanne bei der Bevölkerung beliebt, doch durch ihre selbstbewusste, forsche Art macht sie sich nicht nur bei den Staatsoberhäuptern und militärischen Führern, sondern vor allem bei den Kirchoberen unbeliebt. Statt Jeannes Forderung nachzugeben, auch Paris von den Engländern zurückzuerobern, schickt König Karl VII. die junge Frau zurück zum Bauernhof ihres Vaters, denn mehr alles andere hasst er die kriegerische Auseinandersetzung. So zieht Jeanne in eigener Mission Richtung Paris, wird aber von den Burgundern festgenommen und an die Engländer ausgeliefert.
Earl of Warwick (John Gielgud), der Kommandeur der englischen Truppen, übergibt Jeanne an die katholische Kirche, wo sie vier Monate lang vom Inquisitor (Felix Aylmer), De Courcelles (Barry Jones) und Frater Ladvenu (Kenneth Haigh) verhört wird. Da dies nicht die erwünschten Resultate bringt, drängen der Earl und der fanatische Kaplan John de Stogumber (Harry Andrews) den Bischof von Beauvais, Pierre Cauchon (Anton Walbrook), dazu, mit dem Prozess gegen die vermeintliche Ketzerin zu beginnen.
Da Johanna aber auch vor der Inquisition nicht von ihren Eingebungen und Vorstellungen Abstand nimmt, drohen ihr die Exkommunikation und der Tod durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen …
Kritik:
Der bekennende Pazifist George Bernard Shaw (1956-1950) schrieb „Saint Joan“ im Jahr 1923, kurz nach Jeanne d’Arcs Heiligsprechung durch die römisch-katholische Kirche, wofür er 1925 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Auch wenn Drehbuchautor Graham Greene das dreieinhalbstündige Theaterstück auf eine Filmlänge von 110 Minuten zurechtstutzen musste, kommt in Premingers stilsicherer Inszenierung vor allem Jeanne d’Arcs durch ihre Visionen geprägte Ideologie gut zum Ausdruck, nämlich ihr ausgeprägter Nationalismus, der sie antreibt, die Engländer aus Frankreich zu vertreiben, und ihre Auflehnung gegen die kirchlichen Würdenträger, deren Willen sie sich nicht beugt, da sie nur der Stimme Gottes folgt.
Jean Seberg bringt in ihrer ersten Filmrolle die vielschichtige Persönlichkeit der Titelfigur überzeugend zum Ausdruck, ihren Mut und ihre Überzeugung ebenso wie ihre Beharrlichkeit, aber auch die Enttäuschung über das Urteil beim Prozess. Richard Widmark überzeugt ebenfalls in der ungewohnten Rolle des durchsetzungs- und willensschwachen Königs, aber auch sonst leistet das Ensemble gute Arbeit. Besonders eindringlich ist die Szene auf dem Scheiterhaufen gelungen. Beim Entzünden des Holzstapels kam es durch undichte Gasleitungen zu einem Feuerball, der bei Jean Seberg Brandwunden verursachte, aber Preminger ließ die Szene wegen der Authentizität so im Film.
„Die heilige Johanna“ konnte Publikum und Kritik nicht ganz überzeugen, so dass auch Hauptdarstellerin Seberg nach einer Durststrecke warten musste, bis sie Jean-Luc Godard in seinem Nouvelle-Vague-Klassiker „Außer Atem“ (1960) besetzte.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen