Vor dem neuen Tag
Seit Fritz Lang, der meisterhafte Regisseur von Klassikern wie „Metropolis“, „M: Eine Stadt sucht einen Mörder“ und „Das Testament des Dr. Mabuse“, ins US-amerikanische Exil gegangen war, hat er sich jahrelang im Film-noir-Genre einen Namen gemacht und dabei so hervorragende Werke wie „Blinde Wut“ (1936), „Gehetzt“ (1937), „Ministerium der Angst“ (1944) und „Im Geheimdienst“ (1946) inszeniert. In den 1950er Jahren wechselte Lang aber immer wieder die Genres, präsentierte 1952 mit „Vor dem neuen Tag“ die Verfilmung von Clifford Odets‘ Bühnenstück „Clash by Night“ mit Barbara Stanwyck und Robert Ryan in den Hauptrollen – und mit Marilyn Monroe in ihrer ersten größeren Rolle.
Vor etlichen Jahren ist Mae Doyle (Barbara Stanwyck) in die große weite Welt losgezogen, um ihre Träume von einem aufregenden Leben zu verwirklichen, doch nun kehrt sie einsam und desillusioniert in ihre Heimatstadt zurück, wo sie zunächst bei ihrem jüngeren Bruder Joe (Keith Andes) einzieht. Der ist alles andere als begeistert von Maes Rückkehr in die kleine kalifornische Küstenstadt, die vor allem vom Fischen und ihrer industriellen Verarbeitung lebt. Joe treibt nämlich die Sorge um, dass seine temperamentvolle Freundin Peggy (Marilyn Monroe), die noch ihren Lebensunterhalt in der Fischkonservenfabrik verdient, auch so werden könnte wie seine Schwester. Mae gibt bald den Avancen des Fischers Jerry D’Amato (Paul Douglas) nach, den sie zwar nicht liebt, der ihr aber ein fürsorglicher Ehemann ist.
Es dauert aber nicht lange, da ist ihr das biedere Leben als Hausfrau über, und Mae verliebt sich in den attraktiven und temperamentvollen Filmvorführer Earl Pfeiffer (Robert Ryan), der von seiner Frau verlassen wurde und keine besonders hohe Meinung vom weiblichen Geschlecht hat. Als Mae überraschend schwanger wird, scheint sie zunächst in der neuen Rolle als Mutter wieder etwas Halt gefunden zu haben, doch dann beschließt sie, mit Earl durchzubrennen. So liebenswürdig und naiv Jerry bislang auch gewesen ist, so lässt er es doch nicht zu, dass Mae seine Tochter mitnimmt, und sucht sogar die Auseinandersetzung mit seinem Rivalen. Mae muss sich nun entscheiden, was ihr wirklich wichtig ist im Leben …
Kritik:
Fritz Lang verlegte den in Staten Island spielenden Zweiakter von Clifford Odets an die kalifornische Küste und nimmt sich zunächst viel Zeit, auf fast dokumentarische Weise das Leben in der von der Fischerei lebenden Kleinstadt zu zeigen. Bereits die an den Küstenfelsen tobende Flut deutet an, dass sich in der folgenden Geschichte auch emotional die Wellen überschlagen werden. Während die Menschen auf den Fischerbooten oder in der Konservenfabrik ihrer regulären, aber eintönigen und anstrengenden Arbeit nachgehen, scheint nur das am Hafen gelegene Diner etwas Entspannung zu versprechen.
Hier trifft Mae nach ihrer Rückkehr aus der Großstadt auch zuerst ein, gönnt sich zu ihrem Kaffee gleich einen Whiskey und wird Zeuge, wie Jerrys gelangweilter und angetrunkener Vater (Silvio Minciotti) von seinem besorgten Sohn nach Hause gebracht werden muss. Danach verlegt die Geschichte immer mehr ihren Fokus auf Maes von einer inneren Unruhe getriebenen Leben. Die Heirat mit dem liebenswürdigen und langweiligen und einfach gestrickten Jerry dient ihr nur als vorübergehender Anker in ihrem bislang unstet und unglücklich geführten Leben, doch da die großen Gefühle fehlen, ist sie auch in der Ehe bald unglücklich.
Barbara Stanwyck („Frau ohne Gewissen“, „Wirbelwind der Liebe“) überzeugt zwar in ihrer Rolle, doch nimmt man ihr in der zweiten Filmhälfte die fürsorgliche Mutter einfach nicht ab. Maes Schwangerschaft und die damit einhergehenden Gefühle werden auch gar nicht thematisiert. So fällt es dem Zuschauer schwer, sich die mit Mae als Mutter zu identifizieren. Interessant wird allerdings herausgearbeitet, wie Mae auch von Earl lange Zeit eher abgestoßen ist und sich letztlich nur auf den wenig ambitionierten Mann einlässt, weil er ihr als einziger Ausweg aus dem tristen Leben als Hausfrau und Mutter erscheint.
Auch wenn „Vor dem neuen Tag“ als Film noir deklariert wird und Barbara Stanwyck gekonnt die Femme fatale verkörpert, ist der Film eher ein vielschichtiges Drama über eine Frau, der es nicht gelingen will, sich über ihre Lebensweise klar zu werden und, und die mit ihren falschen Entscheidungen nicht nur die Männer in ihrem Leben unglücklich macht, sondern auch sich selbst. Neben Stanwyck überzeugen auch Paul Douglas („Die Intriganten“, „Unter Geheimbefehl“) als gehörnter Ehemann und Robert Ryan („The Wild Bunch“, „Das dreckige Dutzend“) als Maes Liebhaber. Marilyn Monroe gelingt es in ihrer ersten größeren Rolle, sich trotz Zurschaustellung ihrer körperlichen Vorzüge von ihrem Image als Pin-up-Girl zu lösen und ihr schauspielerisches Talent zu demonstrieren.
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