Es geschah am hellichten Tag

Der Schweizer Autor und Dramatiker Friedrich Dürrenmatt („Es steht geschrieben“, „Der Richter und sein Henker“) hat es seit jeher verstanden, mit seinen Theaterstücken das Publikum ebenso zu fesseln wie zu verstören. Ein besonders eindringliches Beispiel ist ihm mit der Ufa-Auftragsarbeit „Es geschah am hellichten Tag“ (1958) gelungen. Die deutsch-schweizerisch-spanische Co-Produktion unter der Regie des Ungarn Ladislao Vajda gilt weithin als bester deutscher Nachkriegsfilm und bleibt neben dem nach wie vor aktuellen Thema des Missbrauchs von Kindern vor allem wegen der brillanten Darstellungen von Heinz Rühmann und Gert Fröbe nachhaltig in Erinnerung. 

Inhalt: 

Als der vorbestrafte Hausierer Jacquier (Michel Simon) ein kleines Mädchen im Wald von Mägendorf, einem kleinen Ort nahe Zürich, tot auffindet, informiert er, in der örtlichen Gaststätte angekommen, umgehend Kommissar Dr. Matthäi (Heinz Rühmann), der ihn zwar einst verhaftet, aber wenigstens mit Respekt behandelt hat. Matthäi von der Zürcher Kantonspolizei steht kurz vor der Abreise nach Jordanien, wo er fünf Jahre lang die dortige Polizei ausbilden soll, nimmt sich aber noch die Zeit, mit der örtlichen Polizei und dem vorbestraften Sexualtäter den Fundort der Leiche von Gritli Moser aufzusuchen. Die aufgeregte Bevölkerung will Jacquier bereits als Täter lynchen, doch Matthäi ist nicht von der Schuld des Hausierers überzeugt. Als er Gritlis Eltern die schreckliche Nachricht überbringt, verspricht Matthäi der Mutter, den Mörder ihres Mädchens zu finden. Bei seinen Ermittlungen, die zusammen mit seinem Nachfolger Leutnant Henzi (Siegfried Lowitz) in der Volksschule durchführt, zeigt ihm Gritlis Freundin ein von Gritli gemaltes Bild, das einen schwarzen Riesen, ein kleines Mädchen, mehrere Igel, ein Kasperle, ein schwarzes Auto und ein merkwürdiges Tier mit Hörnern zeigt. 
Doch zunächst kann Matthäi diese Darstellungen nicht in einen Zusammenhang mit dem Verbrechen bringen. Leutnant Henzi kann Jacquier in einem mehrstündigen Verhör dazu bringen, die Tat zu gestehen. In der Nacht darauf erhängt sich der Hausierer in seiner Zelle. Der Fall gilt damit als abgeschlossen, doch Matthäi lässt die Sache keine Ruhe. Da bereits zwei weitere Morde dieser Art vor längerer Zeit begangen worden sind, glaubt er an einen Zusammenhang, möglicherweise an einen Serientäter. Als Matthäi nach Jordanien fliegen will, trifft er im Flugzeug auf einen Mann, der Schokotrüffel verspeist, die ihn an die Igel in Gritlis Zeichnung erinnern. Er wittert eine neue Spur und verlässt das Flugzeug. 
Da die Polizei sich einer Neuaufnahme der Ermittlungen verweigert, ermittelt Matthäi auf eigene Faust und bittet einen alten Freund, der Psychiater Professor Manz (Ewald Balser), um eine Analyse von Gritlis Zeichnung. Der Psychiater glaubt, dass der Mörder einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Frauen habe und es sehr wahrscheinlich sei, dass er weitere Morde begehen werde. Außerdem vermutet er, dass der Mörder wohl keine Kinder habe, da er sonst zu so einer Tat nicht fähig wäre. 
Nach und nach entschlüsselt der Kommissar die Einzelteile des Bildes und glaubt, dass der Täter regelmäßig zwischen Zürich und dem Kanton Graubünden unterwegs ist, dessen Autokennzeichen von einem Steinbock geziert werden. Matthäi mietet für drei Monate eine Tankstelle an der Landstraße von Zürich nach Chur und stellt mit Frau Heller (María Rosa Salgado) junge Frau als Haushälterin ein, deren Tochter Annemarie in Gritli Mosers Alter ist und dieser ähnlich sieht. Sein Plan ist, die kleine Annemarie als Köder zu benutzen, um den wahren Mörder in eine Falle zu locken. Er notiert sich die Nummern passender Autos und erkundigt sich dann unter Vorwänden danach, ob die Halter Kinder haben. 
Eines Tages fährt an der Tankstelle auch der Geschäftsmann Schrott (Gert Fröbe) vorbei und sieht die kleine Annemarie nahe der Landstraße spielen. Einige Tage später lauert Schrott Annemarie im Wald auf und gewinnt mit Hilfe seiner Kasperle-Puppe schnell ihr Vertrauen. Annemarie hält ihn für einen Zauberer. Sie muss ihm versprechen, niemandem von der Begegnung zu erzählen, da er andernfalls nicht mehr zaubern könne… 

Kritik: 

Friedrich Dürrenmatt, der zusammen mit Hans Jacoby („Sirocco – Zwischen Kairo und Damaskus“, „Phantom der Oper“) und Regisseur Ladislao Vajda das Drehbuch zu „Es geschah am hellichten Tag“ schrieb, hat in seiner nachträglich geschriebenen Romanfassung „Das Versprechen“ (2001) mehr die psychische Konstitution des Kommissars in den Mittelpunkt gestellt, was Sean Penn in seiner gleichnamigen Verfilmung mit Jack Nicholson in der Hauptrolle auch berücksichtigte. Vajdas Film zeigt sich hingegen als eher klassisch inszeniertes Krimi-Drama mit unbequemem Thema und fokussiert sich auf die Matthäis Jagd nach dem Mörder. 
Heinz Rühmann („Die Feuerzangenbowle“, „Der Hauptmann von Köpenick“) darf hier in einer seltenen ernsten und realistischen Rolle glänzen, während Gert Fröbe, mit dem Rühmann auch bei den Filmen „Die Pauker“, „Menschen im Hotel“ und „Das Liebeskarussell“ zusammen vor der Kamera stand, überzeugend das menschliche Monster verkörpert, das erst als schwarzer Schatten und dann mit nervösen Fingern präsentiert wird, bevor der von seiner herrischen Frau (Berta Drews) dominierte Unternehmer komplett ins Bild kommt. 
Die psychologische Deutung von Schrotts abartigem Verhalten ist zwar etwas platt geraten, doch die beklemmende Inszenierung und die fesselnden Darstellungen von Heinz Rühmann als kompromisslos der Gerechtigkeit dienender Kommissar und Gert Fröbe als rückgratloser Mann, der nur wehrlosen Mädchen gegenüber seine Männlichkeit ausleben kann, machen „Es geschah am hellichten Tag“ zu einem zeitlosen Klassiker. Gert Fröbe verhalf seine Darstellung schließlich zu seiner wohl bekanntesten Rolle des James-Bond-Bösewichts „Goldfinger“ im gleichnamigen Film (1964).  

Kommentare

Beliebte Posts