Music Box - Die ganze Wahrheit

Seit seinem zweifach Oscar-prämierten Thriller-Drama „Z: Anatomie eines politischen Mordes“ (1969) zählt der griechische Filmemacher Costa-Gavras zu den bedeutendsten Vertretern des politischen Kinos, wie auch seine späteren Werke wie „Der unsichtbare Aufstand“ (1972), „Vermisst“ (1982) und „Verraten“ (1988) zeigten. 1989 arbeitete er mit „Music Box – Die ganze Wahrheit“ auf eindrucksvolle Weise den Umgang mit Kriegsverbrechern während des Zweiten Weltkriegs auf. 

Inhalt: 

Aus heiterem Himmel erhält die erfolgreiche Strafverteidigerin Ann Talbot (Jessica Lange) einen verzweifelten Anruf von ihrem Vater, dem gebürtigen, seit 37 Jahren in den USA lebenden Ungar Mike Laszlo (Armin Mueller-Stahl). Er legt ihr ein Schreiben vor, mit dem der Staatsanwalt Jack Burke (Frederic Forrest) Laszlo nach Ungarn ausliefern lassen will, wo er während des Zweiten Weltkriegs furchtbare Verbrechen begangen haben soll. 
Obwohl es nicht ihr Fachgebiet ist, übernimmt Ann die Verteidigung ihres Vaters, den sie nur als fürsorglichen und liebevollen Vater und Großvater kennt, weshalb sich bei der vorgebrachten Anschuldigung nur um eine Verwechslung handeln kann. Vor Gericht aufgeführt werden, von Zeitzeugen dokumentierte grausame Taten jener ungarischen Faschisten, die als sogenannte Pfeilkreuzler mit den deutschen Nationalsozialisten kollaborierten. 
Laszlo betont auch während des Prozesses immer wieder, dass er diese Gräueltaten nicht begangen habe, dass er nur Polizist in einer Schreibstube gewesen sei und sich bei seiner Einreise in die USA als Bauer ausgegeben habe, um einfacher eingebürgert zu werden. 
Als Ann zusammen mit dem Staatsanwalt und Richter Silver (J.S. Block) nach Ungarn reist, um die Befragung eines schwerkranken Mannes durchzuführen, bekommt Ann von einem dubiosen Herrn im Hotel Unterlagen überreicht, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen und damit die Wahrhaftigkeit der Zeugenaussage in Zweifel ziehen, so dass das Gericht noch vor Ort auf Freispruch entscheidet. Ann nutzt ihren Aufenthalt in Ungarn dazu, die Schwester des von ihrem Vater unterstützten Exil-Ungarn zu besuchen. 
Auf einem Foto in deren Wohnung sieht sie einen Mann mit einer langen Gesichtsnarbe, ähnlich wie sie von den Zeugen beschrieben wurde, und identifiziert dadurch den Kollegen des sogenannten Mischka. Die alte Dame übergibt Ann außerdem einen Pfandschein, den sie zurück in den USA einlöst. Die in einer Holzkiste implementierte Spieluhr bringt dabei Fotos zum Vorschein, die Anns Bild von ihrem Vater für immer verändern… 

Kritik: 

Costa-Gavras beleuchtet mit „Music Box“ ein weniger bekanntes Kapitel des Zweiten Weltkriegs, nämlich über die Kollaboration von Anhängern einer faschistischen und antisemitischen Partei in Ungarn mit den deutschen Nazis. Mit tatkräftiger Unterstützung des Dritten Reiches errichteten die ungarischen Pfeilkreuzler ab Oktober 1944 für ein halbes Jahr in den noch nicht von der Roten Armee besetzten Teilen Ungarns eine faschistische Diktatur, unter der etwa 50.000 ungarische Juden und Roma ermordet wurden. Der in Ungarn geborene Joe Eszterhas, der bereits das Drehbuch zu Costa-Gavras' „Verraten“ beigesteuert hatte und in den 1990er Jahren vor allem für seine Vorlagen zu den Erotikthrillern wie „Basic Instinct“, „Jade“ und „Sliver“ bekannt wurde, beleuchtet dieses dunkle Kapitel der ungarischen Geschichte in „Music Box“ aber nur sekundär, wenn die damaligen Zeitzeugen vor Gericht von ihren traumatischen Erlebnissen berichten. 
In erster Linie zielt das 1990 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete Drama auf die emotionale Ebene ab, die das sich massiv verändernde Verhältnis zwischen Vater und Tochter beschreibt. Während der historische Kontext und auch die Praxis, wie sich Regierungsbeamte in Washington das Wissen übergelaufener Nazis über die Kommunisten zunutze machten und diesen Nazis dafür Unterschlupf gewährten, eher beiläufig abgehandelt werden, bezieht „Music Box“ seine Stärke aus der Art und Weise, wie die gut situierte Wirtschaftsanwältin hinter das schreckliche Geheimnis ihres Vaters kommt. Jessica Lange („Frances“, „Rob Roy“) brilliert als ambitionierte Anwältin, die mit Schrecken feststellen muss, dass der Liebling ihres Sohnes Mickey (Lukas Haas) ein Monster ist. Costa-Gavras gelingt es, diese Entwicklung eines elementaren Verrats, die Fragen nach Schuld und Reue ohne falsche Sentimentalitäten darzustellen.  

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