Die zwölf Geschworenen

Sidney Lumet hat seine Regiekarriere Anfang der 1950er Jahre bei hierzulande unbekannten Fernsehserien wie „Danger“, „You Are There“, „The Elgin Hour“ und „The Alcoa Hour“ begonnen, ehe er 1957 die Gelegenheit bekam, das 60-minütige Live-Fernsehspiel von Reginald Rose „12 Angry Men“, das am 20. September 1954 im Rahmen der Fernsehserie „Studio One“ unter der Regie von Franklin J. Schaffner ausgestrahlt wurde, für die große Leinwand zu adaptieren. Mit „Die zwölf Geschworenen“ ist Lumet ein Klassiker der Filmgeschichte gelungen, der gleich drei Oscar-Nominierungen erhielt und mit einem großartigen, von Henry Fonda angeführten Cast aufwarten konnte.

Inhalt:

Ein 18-jähriger Puertoricaner aus einem problematischen Viertel soll seinen Vater mit dem Messer erstochen haben. Die Beweise und Zeugenaussagen wiegen schwer. Über sein Schicksal – Freispruch oder Elektrischer Stuhl – sollen die zwölf Geschworenen entscheiden, die teilweise bereits öfter in dieser Funktion tätig gewesen sind, meist aber nur bei geringfügigeren Delikten, einige aber zum ersten Mal in so einer Runde über ein Urteil zu entscheiden haben. Es ist drückend heiß, immer wieder ziehen sich die Männer in den Waschraum zurück, um sich zu erfrischen, der Schweiß rinnt ihnen nur so über das Gesicht und färbt die Hemden unter ihren Achseln dunkel.
Den Vorsitz übernimmt der Geschworene Nr. 1 (Martin Balsam), ein Rugby-Trainer, der sich vor allem auf die Moderation und die Abstimmungen beschränkt. Bei der ersten Abstimmung plädieren elf Geschworene für schuldig, allein Nr. 8 (Henry Fonda), ein besonnener Architekt, hält den Angeklagten für nicht schuldig in dem Sinne, dass er berechtigte Zweifel an seiner Schuld hegt. In teils hitzigen Gesprächen versuchen einige Geschworene, die vor allem durch zwei Zeugenaussagen belasteten Beweise anzuführen. Während Nr. 2 (John Fiedler), ein unscheinbarer Bankangestellter, sich kaum zu einem eigenen Urteil hinreißen lässt, plädiert Nr. 3 (Lee J. Cobb), ein harter Geschäftsmann, unbeirrt auf schuldig, wobei schnell deutlich wird, dass sein Urteil vor allem auf der Entfremdung zwischen ihm und seinem eigenen Sohn beruht. 
Zu den weiteren Geschworenen gehören Nr. 4 (E. G. Marshall), ein ruhiger Makler, der sich durchaus offen für neue Argumente zeigt; Nr. 5 (Jack Klugman), ein ruhiger, freundlicher Mensch, selbst unter ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist; Nr. 6 (Ed Binns), Nr. 7 (Jack Warden), ein zynischer Egoist, der nur das Baseballspiel am Abend nicht verpassen möchte, Nr. 9 (Joseph Sweeney), ein alter, intelligenter Mann mit ausgeprägter Beobachtungsgabe, der maßgeblich dazu beiträgt, die Belastbarkeit der Zeugenaussagen zu erschüttern; Nr. 10 (Ed Begley), der vollkommen von seinen Vorurteilen beherrscht wird, Nr. 11 (George Voskovec), ein aus der Schweiz stammender Uhrmacher, der sich sehr präzise mit den Argumenten auseinandersetzt, und Nr. 12 (Robert Webber), ein Mann aus der Werbebranche, der die Verantwortung nicht erkennet, die das Amt des Geschworenen ihm aufbürdet, und sehr beeinflussbar wirkt. 
Je mehr die Beweisführung vor allem durch Nr. 8 und Nr. 9 auseinandergepflückt wird, ändert sich das Abstimmungsverhalten allmählich zugunsten des Angeklagten. Doch von einer einstimmigen Entscheidung sind die zwölf Geschworenen noch weit entfernt…

Kritik:

Aus dem einstündigen Live-Fernsehspiel hat Sidney Lumet („Hundstage“, „Serpico“, „Network“) ein anderthalbstündiges, kammerspielartiges Drama der Extraklasse gemacht, für das Komponist Kenyon Hopkins nur für den Vorspann und das Finale Musik beigesteuert hat, während sich Lumet und sein Kameramann Boris Kaufman („Der Pfandleiher“, „Die Faust im Nacken“) mit kontrastreichen Schwarzweißbildern und Nahaufnahmen ganz auf das Geschehen in dem Zimmer beschränken, in dem die Geschworenen ihre weitreichende Entscheidung treffen müssen. Aus dem Gerichtssaal nehmen wir nur den Richter, der fast schon gelangweilt über die Aufgabe referiert, die vor den Geschworenen liegt, und den verzweifelten Blick des Angeklagten mit. Worum es in dem Prozess ging, erfahren wir in der Diskussion, die die zwölf Männer über die Schuldfrage führen. Dabei wird deutlich, dass sich einige Männer kaum Gedanken über ihre Verantwortung machen und dem Ganzen eher lustlos folgen. Andere wiederum sind so von ihren eigenen Erfahrungen und Vorurteilen geprägt, dass sie von ihrer einmal gefällten Entscheidung nicht mehr abrücken wollen, so stichhaltig die Gegenargumente auch sein mögen. Für die Dramaturgie des Films ist maßgeblich, wie die Beweise und Zeugenaussagen von den besonneneren Männern auseinandergepflückt und hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts überprüft werden. Wie einige der Männer, die zuvor unbeirrbar für schuldig plädiert haben, ihre Meinung ändern, macht die Dynamik deutlich, die bei der Meinungsbildung gerade innerhalb geschlossener Gruppen zutage tritt. Das ist nicht nur glänzend inszeniert, sondern auch großartig gespielt.

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