Equus – Blinde Pferde

Als Sidney Lumet sich 1977 an der Verfilmung von Peter Shaffers skandalumwobenen Theaterstück „Equus“ machte, hatte er bereits eine zwanzigjährige Karriere hinter sich, während der er so unvergessliche Meisterwerke wie sein Regiedebüt „Die zwölf Geschworenen“, „Der Mann in der Schlangenhaut“, „Der Pfandleiher“ und „Serpico“ schuf. Während diese Filme allerdings auch einem Mainstream-Publikum gefallen konnten, wagte sich Lumet mit der britischen Produktion von „Equus“ in weitaus experimentellere Gefilde vor.

Inhalt:

Als leitender Psychiater in einem Krankenhaus für psychisch gestörte Jugendliche hat Martin Dysart (Richard Burton) alle Hände voll zu tun. Da bekommt er durch seine im Strafvollzug arbeitende Frau Margaret (Kate Reid) den interessanten Fall des 17-jährigen introvertierten Stallburschen Alan Strang (Peter Firth) auf den Tisch, der im Stall seines Arbeitgebers Harry Dalton (Harry Andrews) sechs Pferden mit einer Sichel das Augenlicht genommen hat. Während Dysart zunächst Probleme hat, zu dem Jungen vorzudringen, erhält er durch den Besuch bei Alans Eltern wichtige Erkenntnisse. Offenbar wuchs Alan in einem streng religiösen wie gefühllosen Elternhaus auf, so dass er eine geradezu mystische Beziehung zu den von ihm umsorgten Pferden eingegangen ist und eine Art Götterverehrung der Natur lebte. Durch Hypnose und eine als Wahrheitsdroge angepriesene Aspirin-Tablette kommt Dysart dem Auslöser für die grausame Tat auf die Spur…

Kritik:

Von eindringlichen Monologen des im Dunkeln an seinem Schreibtisch sitzenden Psychiaters Dysart eingerahmt erzählt „Equus – Blinde Pferde“ die Geschichte einer außer Kontrolle geratenen Leidenschaft, die natürlich sexueller Natur ist, wie wir am Ende erfahren. Interessant ist vor allem, wie Lumet und Peter Shaffer, der Autor des Theaterstücks, die Hintergründe der Tat nach und nach aufdecken und das hochgradig dysfunktionale Elternhaus zunehmend in den Mittelpunkt der Ursachenforschung gerät. Hier wird deutlich gemacht, wie religiöse Bigotterie, liebloser Gehorsam und unausgesprochene Konflikte das seelische Gleichgewicht des Jungen nachhaltig verzerrt haben, der sich in der knospenden Beziehung zur selbstbewussten und attraktiven Jill Mason (Jenny Agutter) letztlich überfordert gefühlt hat. Der Film geht allerdings nicht nur der Spurensuche in der Psyche des Jungen nach, sondern gleichsam des Psychiaters, dem in der Therapie des Jungen offenbart wird, was er sich selbst jahrelang nicht eingestehen wollte. Am Ende steht die entscheidende Frage, inwieweit es überhaupt sinnvoll ist, Alan zu therapieren, wenn er dadurch seine Leidenschaft einbüßt, die in dem grausamen Akt der Blendung der Pferde zum Ausdruck kam. Diese Leidenschaft ist dem Psychiater nämlich schon lange abhandengekommen, wie wir in den gemeinsamen Szenen von Richard Burton und Kate Reid beobachten können. Burton nimmt man die Rolle des ausgebrannten, an sich selbst zweifelnden Psychiaters übrigens absolut ab. Selten war er so überzeugend wie hier. Es ist aber vor allem dem damals 24-jährigen Peter Firth („Lifeforce – Die tödliche Bedrohung“, „Jagd auf Roter Oktober“) in seiner besten und prominentesten Rolle zu verdanken, dass „Equus – Blinde Pferde“ so lange im Gedächtnis des Publikums nachhallen dürfte.

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