Naked Lunch

Nachdem der kanadische Drehbuchautor und Regisseur David Cronenberg zu Beginn seiner Karriere eher auf den Körper fokussierten Horror („Shivers“, „Rabid“, „Die Brut“) präsentierte, den er in seinem Remake des Science-Fiction-Horror-Klassikers „Die Fliege“ (1986) perfektionierte, ist er bereits mit „Scanners“ (1981) und „Videodrome“ (1983) dazu übergegangen, sich mehr mit psychischen Abnormitäten zu befassen. Die Stephen-King-Verfilmung „Dead Zone“ (1983) wies dabei in eine Richtung, die Cronenberg mit „Die Unzertrennlichen“ (1988) fortführte. Mit dem lose an William S. Burroughs‘ (1914 - 1997) gleichnamigen Roman orientierten Film „Naked Lunch“ (1991) taucht der Kanadier einmal mehr in drogeninduzierte Wahnvorstellungen ein. 

Inhalt:

Da die Schriftstellerei zu wenig zum Leben abwirft, verdient sich William Lee (Peter Weller) seine Brötchen als Kammerjäger, doch gerät er durch den nicht nachvollziehbaren Verlust einer beachtlichen Menge des Wanzenpulvers in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Nach seinem Verhör auf der Dienststelle wird er von zwei Beamten gebeten, das sichergestellte Pulver an einer überdimensionierten Wanze auszuprobieren, doch stellt sich das Ungeziefer William als Verbindungsoffizier vor, der den Schriftsteller/Kammerjäger als Agent anheuern will, um in einem Gebiet namens „Interzone“ Informationen einzuholen. Nachdem Lee die Wanze mit seinem Schuh erschlagen hat und aus dem Verhörraum geflüchtet ist, macht er sich anno 1953 tatsächlich auf den Weg nach Interzone im marokkanischen Tanger, schließlich hatte er im Drogenrausch seine Frau Joan Lee (Judy Davis) bei dem vertrauten Wilhelm-Tell-Spiel erschossen. Dort macht er nicht nur die Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Tom Frost (Ian Holm) und seiner Frau Joan (Judy Davis), die seiner eigenen Frau zum Verwechseln ähnlich sieht, sondern auch mit dem homosexuellen Dandy Yves Cloquet (Julian Sands) und Dr. Benway (Roy Scheider), der Lee ein schwarzes, aus brasilianischen, im Wasser lebenden Tausendfüßer gewonnenes Pulver überreicht, das das die Wirkung des Wanzenpulvers neutralisieren soll. Doch Benway verfolgt in Interzone seine ganz eigene Agenda, während William Lee mit sprechenden, lebendigen Schreibmaschinen und skurrilen Lebewesen zu tun bekommt … 

Kritik:

Cronenberg macht gar nicht erst den Versuch, William S. Burroughs‘ als unverfilmbar geltenden Kultroman aus dem Jahr 1959 auch nur annähernd originalgetreu zu inszenieren. Stattdessen erzählt er in „Naked Lunch“ eher ein mögliches Szenario, wie der Roman entstanden sein könnte. Dabei webt Cronenberg, der auch das Drehbuch zum Film verfasste, etliche Bezüge aus Burroughs‘ Vita mit in die Handlung, etwa seine nicht minder berühmten Beatnik-Gefährten Allen Ginsberg und Jack Kerouac, die hier durch William Lees Schriftstellerfreunde Hank (Nicholas Campbell) und Martin (Michael Zelniker) verkörpert werden. Tatsächlich hat Burroughs im Drogenrausch – wie im Film – auch eine Frau bei der Nachstellung der Apfel-Szene aus „Wilhelm Tell“ getötet. 
Es sind aber nicht die unbedingt die biografischen Bezüge, die „Naked Lunch“ so sehenswert machen, sondern die völlig entfesselte Art und Weise, mit der Cronenberg die Halluzinationen und Wahnvorstellungen bebildert, unter denen der von Morphium und anderen Drogen abhängige Burroughs offensichtlich gelitten haben muss. Cronenberg lässt die Geschichte allein aus William Lees Perspektive erzählen, so dass die an sich kuriosen Begegnungen mit all den skurrilen Junkies, Schriftstellern, Agenten und anderen Wesen die einzig gültige Wahrheit bilden. Zwar bedient sich Cronenberg dabei einmal mehr seiner bekannten Vorliebe für sehr körperliche Abnormitäten, doch dienen sie nur dazu, die geistigen Irrungen und Wirrungen seines Protagonisten zu illustrieren. Davon abgesehen wirkt „Naked Lunch“ wie aus dem Leben und Werk von William S. Burroughs gezeichnet, wobei Gewalt, Drogensucht und Homosexualität die vorherrschenden Themen darstellen. 
Howard Shore, der bereits Cronenbergs „Die Brut“, „Scanners“, „Videodrome“, „Die Fliege“ und „Die Unzertrennlichen“ vertont hatte, ließ einige Cues seines Scores zu „Naked Lunch“ passenderweise von dem bekannten Free-Jazz-Saxophonisten Ornette Coleman spielen, was dem Film eine zusätzliche realitätsfremde Dimension verleiht, die vor allem durch die alienhaften Mugwumps erzeugt wird. 
„Naked Lunch“ ist sicherlich das am wenigsten zugängliche Werk des Kanadiers, aber der Film macht deutlich, warum Cronenberg so fasziniert von Burroughs‘ Roman gewesen ist, dass er ihm auf einzigartige, schwer zu entschlüsselnde und manchmal auch verstörende Weise ein Denkmal gesetzt hat. 

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