Weißer Oleander

Bevor Joseph L. Mankiewicz ab den 1950er zu einem der führenden Regisseure in Hollywood avancierte und mit jeweils mit einem Regie-Oscar für „Ein Brief an drei Frauen“ und „Alles über Eva“ ausgezeichnet wurde, war er ebenso als Produzent wie als Drehbuchautor tätig. 1946 erhielt er erstmals die Gelegenheit, Regie zu führen, als er Anya Setons Roman „Dragonwyck“ als Drehbuch umschrieb und für Ernst Lubitsch einsprang, der ursprünglich die Regie übernehmen sollte, aus gesundheitlichen Gründen aber passen musste. Das für 20th Century Fox in Schwarzweiß realisierte Gothic-Drama wurde vor allem für Vincent Price zum großen Sprungbrett in seiner Karriere. 

Inhalt: 

Schon immer hat die junge Farmerstochter Miranda Wells (Gene Tierney) davon geträumt, etwas von der großen weiten Welt zu sehen. Die Erfüllung dieses Wunsches scheint in greifbare Nähe zu rücken, als sich ein entfernter Verwandter per Brief an ihre Mutter Abigail Wells (Anne Revere) wendet und ihr das Angebot macht, eine ihrer Töchter als Erzieherin und Gouvernante zu sich in die Nähe von New York zu holen, um so auch die besseren Kreise kennenzulernen. Mirandas gottesfürchtiger, bibelfester Vater Ephrain (John Huston) ist alles andere als begeistert davon, doch als seine Tochter aufs Geratewohl hinein eine Bibelstelle trifft, die im weitesten Sinne auf eine Reise verweist, gibt er klein bei und begleitet seine Tochter nach New York, wo sie im Hotel Astor nach allen Künsten verwöhnt werden, bis ihr entfernter Cousin Nicholas van Ryn (Vincent Price) auftaucht. Der skeptische Ephraim teilt zwar nicht die politischen Ansichten des Patrons, der von der Pacht seiner vielen Farmer lebt, ist aber von dessen vorzüglichen Manieren angetan. Schon vom Schiff aus ist Miranda von dem herrschaftlichen Anwesen Dragonwyck begeistert. Sie lernt Nicholas‘ Frau Johanna (Vievienne Osborne) und ihre gemeinsame kleine Tochter Katherine (Connie Marshall) kennen, schließlich auch das alte Dienstmädchen Madga (Spring Byington). 
Von den schaurigen Geschichten, die ihr Magda erzählt und die ihr sehr bald den Aufenthalt in Dragonwyck verleiden lassen würden, lässt sich Miranda jedoch nicht beunruhigen. Allerdings bekommt sie schnell mit, dass sich ihr Cousin mit seinen Farmern überwirft, dass auch der sympathische Arzt Dr. Turner (Glenn Langan) mit dem herrschsüchtigen Lehnsherrn zerstritten ist. Als die kränkelnde Johanna plötzlich stirbt, verliert Nicholas nicht viel Zeit, um bei Ephraim um Mirandas Hand anzuhalten. Schließlich wünscht er sich nichts mehr als einen männlichen Erben … 

Kritik:

Es verwundert nicht, dass Vincent Price, der bereits in „Laura“ (1944) und „Todsünde“ (1945) an der Seite von Gene Tierney gespielt hatte, seine Rolle in „Weißer Oleander“ als Wegweiser für seine weitere Karriere betrachtete, denn Price bietet eine völlig überzeugende Vorstellung als zunächst absolut distinguierter, höflicher, großzügiger und liebenswerter Patron, der Miranda Wells die Welt vor die Füße legt. Im Gegensatz zu Tierney, die einfach nur glückselig durch die Kulissen gleitet und schön aussieht, verleiht Price seiner Figur viele weitere Facetten, bis zum drogeninduzierten Wahnsinn, aber auch schon vorher gibt er in dem unnachgiebigen Ton seiner aufständischen Farmer und dem abschätzigen Verhalten eines gehbehinderten Dienstmädchens gegenüber Kostproben der dunklen Seite seiner Persönlichkeit. Es dauert allerdings eine Weile, bis sich die Geschichte entwickelt. 
Mankiewicz nimmt sich viel Zeit, sowohl das einfache Leben auf der Farm als auch anschließend den ausschweifenden Luxus auf Dragonwyck zu beschreiben. Viele Elemente werden dann aber angerissen, ohne tiefergehend aufgelöst zu werden, vor allem die Konflikte zwischen dem Patron und den Farmern, die ihr eigenes Land bewirtschaften wollen, aber auch das dunkle Geheimnis, das über Dragonwyck zu liegen scheint, von dem Magda recht früh nach Mirandas Ankunft auf dem Anwesen erzählt. 
Doch davon abgesehen bietet „Weißer Oleander“ großes Hollywood-Kino, das in Farbe sicher noch besser zur Geltung gekommen wäre. Offenbar wollten die Filmemacher ganz bewusst eine Nähe zu den thematisch ähnlichen Kinoerfolgen „Rebecca“ (1940) und „Das Haus der Lady Alquist“ (1944) herstellen. An diese Meisterwerke kommt „Weißer Oleander“ zwar nicht heran, doch das sehenswerte Schauspiel von Vincent Price, die prachtvollen Kulissen und Kostüme, Alfred Newmans dramatischer Score und die eindrucksvollen Bilder von Arthur C. Miller („Anna und der König von Siam“, „Das Lied von Bernadette“) sorgen für ein unterhaltsames Drama mit leichtem Gothic-Touch. 

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