Angst über der Stadt

Henri Verneuil ist für Meisterwerke wie „Lautlos wie die Nacht“ (1963), „Der Clan der Sizilianer“ (1969) und „I wie Ikarus“ (1979) bekannt, doch auch die langjährige Zusammenarbeit mit Frankreichs Superstar Jean-Paul Belmondo („Ein Affe im Winter“, „Der Coup“, „Der Körper meines Feindes“) zählt zu den Höhepunkten seiner Karriere. 1975 entstand mit dem harten Thriller „Angst über der Stadt“ vielleicht der beste Film der Zusammenarbeit zwischen Verneuil und Belmondo und darf als frühe Inspiration für spätere Serienkiller-Meilensteine wie „Das Schweigen der Lämmer“ und „Sieben“ betrachtet werden. 

Inhalt: 

In Paris treibt der wahnsinnige Frauenmörder Minos (Adalberto Maria Merli) sein Unwesen, dezimiert er – von Dantes „Die göttliche Komödie“ inspiriert – die weibliche Population dahingehend, dass der sündige Lebenswandel mit dem Tod bestraft wird. Mit den Ermittlungen wird der taffe Draufgänger Letellier (Jean-Paul Belmondo) beauftragt. Er wurde zur Mordkommission „strafversetzt“, nachdem der temperamentvolle Gendarm in eine wilde Schießerei mit der Gang des skrupellosen Bankräubers Marcucci (Giovanni Cianfriglia) verwickelt war und bei der anschließenden Verfolgungsjagd einen unschuldigen Passanten getötet hatte. Als Letellier erfährt, dass Marcucci wieder in der Stadt ist, setzt er zunächst seine ganze Energie auf die Festsetzung des skrupellosen Gauners, doch Minos hört nicht auf, freizügige Frauen zu bedrohen und die Polizei mit Puzzlestücken seines Fotos zu ködern. 
Schließlich nistet sich Letellier bei einer Krankenschwester ein, die ebenfalls schon telefonisch von Minos bedroht worden ist. Als Letellier aber den Aufenthaltsort von Marcucci erfährt, nimmt er lieber dessen Verfolgung auf als Minos das Handwerk zu legen. Der hat mit der Nacktdarstellerin Pamela Sweet bereits sein nächstes Opfer im Visier… 

Kritik: 

Verneuils „Angst über der Stadt“ wirkt gerade in der Eröffnungssequenz, als eine alleinlebende Frau durch den Telefonterror des Frauenmörders erst Herzkrämpfe erleidet und dann durch das geöffnete Fenster ihres Hochhaus-Apartments in die Tiefe zu Tode stürzt, wie ein waschechter Giallo, zumal neben dem lauten, enervierenden Telefonklingeln auch die für den italienischen Genre-Thriller obligatorischen schwarzen Handschuhe ins Spiel kommen. 
Doch wie sich später herausstellt, gehören die Handschuhe nicht zu dem vermeintlichen Killer, sondern nur einem Besucher einer Party, der sich an der Tür geirrt hat. Auch sonst spielt Verneuil immer wieder mit Genre-Versatzstücken, etwa wenn der Killer eine Ausgabe von Dantes „Die göttliche Komödie“ im Wagen der Polizisten platziert, doch fühlt sich Letellier nicht bemüßigt, diesem Hinweis eine größere Aufmerksamkeit zu widmen, weshalb er das Büchlein achtlos auf den Rücksitz wirft. 
Das bedeutet allerdings nicht, dass es sich bei „Angst über der Stadt“ um eine der typischen Belmondo-Action-Komödien handelt. Verneuil spielt zwar geschickt mit den Zuschauererwartungen, präsentiert aber einen harten Thriller in bester Eastwood- und Bronson-Tradition, wobei Belmondo wieder als hartgesottener Action-Held glänzen darf, der all seine Stunts selbst ausführte. 
Im Radio-Interview kommt dazu noch ein Psychiater zu Wort, der die psychische Disposition des Täters erläutert. Das ist zwar gerade aus heutiger Sicht nicht neu, aber Verneuil beweist ein sicheres Gespür für das Anziehen der Spannungsschraube, was durch Ennio Morricones aufwühlenden Score noch unterstrichen wird. 

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