Lola, das Mädchen aus dem Hafen
Bevor Jacques Demy mit seinen romantischen, farbenfrohen Musicalfilmen „Die Regenschirme von Cherbourg“ (1964) und „Die Mädchen von Rochefort“ (1967) bekannt geworden ist, feierte er sein Regiedebüt 1961 mit „Lola, das Mädchen aus dem Hafen“, das aus Budgetgründen noch in Schwarzweiß und ohne Musicalcharakter inszeniert worden ist, mittlerweile aber als Schlüsselwerk der Nouvelle Vague gilt und Hauptdarstellerin Anouk Aimée zum Star machte.
Nachdem Roland Cassard (Marc Michel) bei seiner neuen Arbeitsstelle in Nantes an drei Tagen zu spät gekommen ist, wird er vom Direktor vor die Tür gesetzt. Roland ist nicht allzu enttäuscht darüber, seine Zeit mit sinnlosen Tätigkeiten zu vergeuden, weiß aber nicht, wie er seine verschwommenen Künstlerträume umsetzen soll. Er geht ins Kino und bekommt den Tipp für eine offene Stelle beim Friseur. Auf dem Weg dorthin begegnet er zufällig in der Passage Pommeraye seiner Jugendfreundin Cécile (Anouk Aimée), die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Überschwänglich freut sie sich auf ein Wiedersehen mit Roland am Abend, muss aber vorher ihren Sohn ins Bett bringen. Roland erfährt, dass Cécile im Cabaret „L‘eldorado“ als Tänzerin auftritt, wo junge Matrosen bis in den Morgengrauen ihren Spaß haben.
Gerade unterhält sie eine Affäre mit dem amerikanischen Matrosen Frankie (Alan Scott), der ihrer ersten großen Liebe Michel (Jacques Harden) etwas ähnlichsieht, aber kurz vor der Rückkehr in seine Heimat steht. Tatsächlich hofft Cécile auf Michels Rückkehr, der sie vor sieben Jahren verlassen hat, um im Ausland ein vielversprechendes Jobangebot anzunehmen.
Um an Geld zu kommen, nimmt Roland den dubiosen Auftrag des örtlichen Friseurs an, für ihn einen Koffer nach Johannesburg zu schmuggeln, und verabredet sich mit der verwitweten Madame Desnoyers (Elina Labourdette), die er in seinem Stamm-Buchladen kennengelernt hat, um ihrer 14-jährigen Tochter Cécile (Annie Duperoux) ein Englisch-Wörterbuch zu bringen. Während Céciles Mutter sehr von Roland angetan ist, interessiert sich dieser jedoch nur für seinen alten Jugendschwarm, doch empfindet Cécile nichts weiter als Freundschaft für ihn. Als Michel überraschend auftaucht, beschließt Roland, Nantes zu verlassen…
Kritik:
Der von Jean-Luc Godard und – wie die Widmung im Vorspann verrät – Max Ophüls beeinflusste Jacques Demy schrieb nicht nur das Drehbuch zu „Lola“, sondern arbeitete auch mit dem Godard-Produzenten Georges de Beauregard und Godards Kameramann Raoul Coutard zusammen, der den melancholischen Liebesreigen in fließenden Kamerabewegungen und verträumten Bildern festgehalten hat.
„Lola“ erzählt von einer alleinerziehenden Frau, die abends ungern ihren Sohn alleinlässt, um ihrer Arbeit nachgehen zu können, und die sich auf eine harmlose Affäre mit einem amerikanischen Matrosen einlässt, der gern eine intimere Beziehung zu Nachtclub-Tänzerin aufbauen würde, aber ohnehin bald zurück in die Heimat muss. Dass Lola reihenweise Männern den Kopf verdreht, bekommt auch ihr Jugendfreund Roland zu spüren, der bereits als Jugendlicher in Cécile verliebt gewesen ist, sich damals aber nicht traute, sich zu offenbaren.
Demy erzählt die Geschichte von Roland und Cécile in parallelen Handlungssträngen, dazu kommt noch die Rückkehr des zögerlich agierenden Michel und die Schwärmerei, die die 14-jährige Cécile für den Matrosen Frankie empfindet – sehr zum Ärger ihrer einsamen Mutter. All dies inszeniert Demy mit einer unterhaltsamen Leichtigkeit, wobei Anouk Aimée das Geschehen mit ihrer temperamentvollen Rolle zwar bestimmt, aber Marc Michels schwärmerischen Roland genügend Raum lässt, seine Träume (und Nöte) zumindest zu artikulieren, wenn schon nicht auszuleben.
Untermalt von Michel Legrands Musik und Beethovens 7. Symphonie ist mit „Lola“ ein Film entstanden, der bereits deutlich macht, warum Demy zu einem der bekanntesten Filmemacher des französischen Kinos geworden ist.
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