Chloe

Die Gynäkologin Catherine Stewart (Julianne Moore) hat ein eher analytisches Verhältnis zur Sexualität. Als ihr eine Patientin gesteht, noch keinen Orgasmus gehabt zu haben, erklärt Catherine ihr nüchtern, dass der Orgasmus nichts Geheimnisvolles sei, nur eine Folge von Muskelkontraktionen durch Stimulierung der Klitoris. Im Gegensatz dazu lässt sich ihr Mann, der Musikprofessor David (Liam Neeson) bei einem Gastvortrag in New York fröhlich über die unzähligen Liebschaften von Don Giovanni aus und schlägt - zunächst - eine Einladung der Studentinnen zum Essen aus, da er Geburtstag habe und zuhause in Toronto erwartet werde. 
Dort hat ihm Catherine eine Überraschungsparty organisiert. Während Catherine und ihre Gäste die Ankunft des Geburtstagskindes minütlich erwarten, ruft David an, dass er den Flug verpasst habe. Ihren Verdacht, dass David eine Affäre haben könnte, findet sie in einer MMS bestätigt, in der sich eine junge Frau für die vergangene Nacht bedankt. Um aber letzte Gewissheit zu erlangen, engagiert sie die Edel-Prostituierte Chloe (Amanda Seyfried), David anzusprechen und ihr zu berichten, wie ihr Mann reagiert. Beim zweiten Treffen scheint es zu sexuellen Handlungen gekommen zu sein, und Catherine folgt den verstörenden Ausführungen der Prostituierten zunächst schockiert, zunehmend aber fasziniert und sogar erregt, bis sie sich selbst auf eine Affäre mit Chloe einlässt. 
Der kanadische Filmemacher Atom Egoyan hat mit „Chloe“ erstmals ein gänzlich fremdes Drehbuch verfilmt und ein Remake des französischen Erotik-Thriller-Dramas „Nathalie - Wen liebst du heute Nacht?“ inszeniert, das sich aber wunderbar in das bisherige Oeuvre des Autorenfilmers einfügt. Schon mit der ersten Einstellung, in der der Zuschauer in die Rolle des Voyeurs schlüpft, wenn er Chloe beim Überstreifen ihres BHs beobachtet, setzt die erotische Spannung für den Film. Doch Egoyan geht es natürlich nicht um die Befriedigung voyeuristischer Bedürfnisse seines Publikums, sondern um die verborgenen Bedürfnisse und Wahrnehmungen seiner Figuren. 
Was sich letztlich wirklich innerhalb der unglückseligen Ménage à trois abgespielt hat, verschleiert Egoyan geschickt und gibt dem Film zum Ende hin eine durchaus glaubwürdige Thrillerwendung. Egoyan hat seinen Film in einer unterkühlten Welt angesiedelt, in der der Schein über das Sein triumphiert. Die Stewarts leben in einem Prachtbau, deren Einwohner sich längst auseinandergelebt und einander nichts mehr zu sagen oder zu geben haben. Und auch Chloe bewegt sich in der artifiziellen Annehmlichkeit von schicken Hotels und Bars, wo sie ihren Kunden alle Wünsche zu erfüllen versteht, ihre eigenen Bedürfnisse aber nicht verwirklichen kann. 
Hinter diesen glänzenden Fassaden und Spiegeln bewegen sich gebrochene Charaktere, die von Julianne Moore („Schiffsmeldungen“, „Magnolia“) und Amanda Seyfried („Das Leuchten der Stille“) hervorragend dargestellt werden. Wonach sich die beiden Frauen wirklich sehnen, entdecken sie erst während ihrer ungewöhnlich gesponnenen Affäre. 
In diesem Spannungsfeld agiert Liam Neeson angenehm zurückhaltend, so dass die Wahrnehmung seines Charakters durch den Zuschauer die Metamorphose im Verlauf des Films glaubwürdig vollzogen werden kann. „Chloe“ funktioniert dabei ebenso als eindringliches Drama über die Irrwege menschlicher Empfindungen und Wahrnehmungen wie als erotischer Thriller, der von Egoyans Stammkomponisten Mychael Danna kongenial eindringlich musikalisch untermalt wurde. 

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