Scarface

1932 schufen der spätere Meisterregisseur Howard Hawks und sein Drehbuchautor Ben Hecht mit dem an der Lebensgeschichte von Al Capone angelehnten Gangster-Drama „Scarface“ einen Klassiker des Gangsterfilm-Genres. Fünfzig Jahre später nahmen sich Drehbuchautor Oliver Stone und Regisseur Brian De Palma der fesselnden Geschichte erneut an, verlegten sie in das Jahr 1980 und verknüpften sie mit der Einwanderung kubanischer Verbrecher, die Castros Erlaubnis für Familien, ihre Verwandtschaft in den USA zu besuchen, zur Folge hatte. „Scarface“ wurde vorgeworfen, das Verbrechertum zu verherrlichen und zu brutal zu sein, doch heute zählt De Palmas fast dreistündiges Gangsterepos zu den wichtigsten Filmen des Genres. 

Inhalt: 

Als Fidel Castro im Mai 1980 den Hafen von Mariel in Kuba öffnet, um kubanische und amerikanische Familienangehörige wieder zusammenzuführen, zwingt er die Bootsbesitzer, auf ihrer Fahrt in die USA auch vom kommunistischen System „unerwünschte Personen“ wie politische Gefangene, Oppositionelle, psychisch Kranke und Verbrecher mitzunehmen. Unter den schätzungsweise 25.000 Vorbestraften, die sich unter den insgesamt 125.000 Migranten befinden, versucht auch der verarmte Ex-Sträfling Antonio „Tony“ Montana (Al Pacino) zusammen mit seinem Freund Manny Ribera (Steven Bauer) in Miami Fuß zu fassen. Doch schon sein Interview mit den Grenzbeamten läuft nicht wie geplant. Nach einem Wutausbruch wird er in das Sammellager von „Freedom Town“ gebracht, wo er den Auftrag, einen ehemaligen hochrangigen Kommunisten während eines Aufstands zu töten, so gut erledigt, dass seine Auftraggeber Tony und einige seiner Freunde mit einer Green Card das Lager verlassen können. 
Der schlechtbezahlter Job als Tellerwäscher in einem Imbisswagen, den Tony mit Manny ausübt, ödet Tony aber schnell an, so dass er dankbar die Möglichkeit ergreift, erneut für Omar Suárez (F. Murray Abraham) tätig zu werden, diesmal als Drogenkurier. Doch bei dem Kokain-Deal im Sun Ray Hotel geraten Tony und Angel Fernandez (Pepe Serna) in einen Hinterhalt, während Manny und der kleine Chi Chi (Ángel Salazar) im Wagen als Verstärkung warten. Durch eine leichtbekleidete Dame ist Manny zunächst abgelenkt, so dass er mit Chi Chi z spät kommt, um Angel zu retten, der von Hector mit einer Kettensäge getötet worden ist, aber Tony gelingt es so, das Blatt zu wenden, den flüchtenden Hector auf offener Straße zu erschießen und mit dem Kokain und dem Geld direkt zu Omars Boss Frank Lopez (Robert Loggia) zu gehen, der von Tonys Mut beeindruckt ist und ihm eine glänzende Karriere voraussagt. Dabei hat Tony auch ein Auge auf Franks Frau, die attraktive, aber unterkühlte Elvira (Michelle Pfeiffer), geworfen. 
Als Tony mit Omar für Frank in Bolivien mit dem Drogenbaron Alejandro Sosa (Paul Shenar) einen Deal aushandeln soll, wird Omar als vermeintlicher Informant der Drogenbehörden enttarnt und ermordet, Tony schließt das Geschäft schließlich ohne Rücksprache mit Frank ab, dem Tonys Alleingang so sauer aufstößt, dass er zwei Auftragskiller auf ihn ansetzt. Tony gelingt es, die beiden Killer auszuschalten, und stellt Frank zur Red, worauf Manny den Boss erschießt. Mit Elvira an seiner Seite steigt Tony zum Gangsterkönig von Miami auf, doch als er sich auch mit Sosa anlegt, wird die Luft für ihn immer enger… 

Kritik: 

Oliver Stone hat gründlich für die Story von „Scarface“ recherchiert, hat sich mit Polizeibehörden, Leuten aus der Szene und offensichtlich auch einigen ominösen Herrschaften getroffen und am Ende sogar selbst Kokain konsumiert, was „Scarface“ seinen authentischen Charakter verdankt. Mit der Story von Al Capone und dessen Verhandlungsgeschick hat De Palmas Film allerdings wenig zu tun, auch wenn der Film im Abspann Howard Hawks und Ben Hecht gewidmet wird. Tony Montana ist alles andere als der kultivierte Gangster, den wir mit Al Capone kennengelernt haben. Tony hat in Kubas Straßen zu überleben gelernt und will in Miami nun den amerikanischen Traum leben. Mit schlechtbezahlten Jobs gibt er sich nicht ab, da muss mit wenig Aufwand schon viel rausspringen, damit er sich die schicken Autos und Anzüge leisten kann, mit denen er die Frauen zu beeindrucken beabsichtigt. Es genügt allerdings, die Frau seines Bosses für sich zu gewinnen. 
Wenn die junge Michelle Pfeiffer („Die Hexen von Eastwick“, „Die fabelhaften Baker Boys“) in ihrer ersten Szene als mit rückenfreiem Kleid den gläsernen Fahrstuhl in Franks Villa hinunterschwebt, ist Al Pacinos Tony sofort absolut hingerissen von ihr. Fortan scheint jegliches seiner oft riskanten Unterfangen darauf ausgerichtet zu sein, seinem Boss nicht nur den Rang abzulaufen, sondern ihm vor allem auch diese bezaubernde Frau auszuspannen.  
Al Pacino agiert in „Scarface“ absolut meisterhaft, mimt kraftvoll und überzeugend den Ganoven von der Straße, der vom großen Geld träumt, es sich auf dem Weg nach oben aber mit seiner großkotzigen, proletarischen Schnauze mit jedem verscherzt.  
„Scarface“ ist alles andere als eine Verherrlichung des Gangstertums. Hier wird der amerikanische Traum zwar auf der Überholspur verwirklicht, doch ebenso schnell und tief fällt Tony auch wieder herunter, ist ebenso wie seine lieblose Frau bis oben hin zugekokst oder betrunken (oder beides), schwelgt im Luxus, den er schon gar nicht mehr genießen kann. Die ebenfalls kritisierte Brutalität nimmt sich im Vergleich mit späteren Genre-Werken auch nicht besonders krass aus. 
Wenn Hector beispielsweise bei dem verpatzten Kokain-Deal Tonys Kumpel mit der Kettensäge bearbeitet, ist von dem bemitleidenswerten Opfer nichts zu sehen, „nur“ die Kettensäge und das herumspritzende Blut. De Palmas suggestive Inszenierung macht das Grauen in der Vorstellung des Zuschauers aber sehr real. Das trifft auch auf die gesamte Atmosphäre des Films zu. De Palma inszeniert „Scarface“ ganz dem Zeitgeist der frühen 1980er entsprechend, was sich sowohl im grell-bunten Look als auch Giorgio Moroders Synthi-Score niederschlägt. Dass der Film auch über die fast drei Stunden Laufzeit durchweg packend unterhält, ist vor allem Al Pacino („Der Pate“, „Serpico“) zu verdanken, der seine Rolle lustvoll fast bis zur Grenze des Overacting auslebt und die Aufmerksamkeit des Publikums in fast jeder Szene auf sich zieht. Allein der attraktiven und herrlich unnahbar agierenden Michelle Pfeiffer ist es vergönnt, ebenso die Blicke auf sich zu ziehen. Wie sich dieses ungleiche Paar aneinander reibt und es schließlich die Fetzen fliegen lässt, ist ebenso unterhaltsam wie der Aufstieg und Fall eines maßlosen Gangsters. 

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