Der Staatsfeind Nr. 1
Auch wenn Tony Scott nie so recht aus dem Schatten seines großen Bruders Ridley treten konnte, der mit „Alien“ und „Blade Runner“ schon zu Beginn seiner Regiekarriere zeitlose Meisterwerke geschaffen hatte, sind ihm zumindest zeitgemäß schicke, wenn auch recht tumbe Action-Blockbuster wie „Top Gun“, „Beverly Hills Cop II“ und „Tage des Donners“ gelungen, mit „True Romance“ nach dem Drehbuch von Quentin Tarantino sogar ein künstlerischer Erfolg.
1998 setzten das Erfolgsproduzenten-Duo Don Simpson und Jerry Bruckheimer ihre Zusammenarbeit mit Tony Scott nach „Top Gun“, „Beverly Hills Cop II“, „Tage des Donners“ und „Crimson Tide“ mit dem hochkarätig besetzten und noch immer hochaktuellen Thriller „Der Staatsfeind Nr. 1“ fort.
Inhalt:
Um ein verschärftes Überwachungsgesetz durch den Kongress zu bringen, versucht Thomas Reynolds (Jon Voight), Abteilungsleiter des US-Geheimdienstes NSA, dem Vorsitzenden der Republikanischen Partei im Kongress, Hammersley (Jason Robards), im Occuquan Park in Baltimore seine Blockade-Haltung auszureden, doch da Hammerley sich vor allem um die dadurch bedrohten Arbeitsplätze seiner Wähler sorgt, erteilt er dem skrupellosen Geheimdienstler erneut eine Abfuhr. Als einer seiner Agenten daraufhin den renitenten Kongressabgeordneten betäubt und mitsamt seinem Wagen in den See rollen lässt, wird der Vorfall zufällig von einer hochauflösenden Videokamera eines Ornithologen aufgenommen. Beim Wechseln der Videobänder wird der Wagen des Ornithologen allerdings von einem Cop der Staatspolizei bemerkt. Als der Vogelkundler entdeckt, was seine Kamera da aufgenommen hat, informiert er sofort einen befreundeten Journalisten, zieht eine Kopie des Videos und kann gerade rechtzeitig aus der Wohnung fliehen, bevor ihn die NSA-Agenten in ihre Gewalt bringen können.
Auf seiner Flucht begegnet er in einem Dessous-Laden den erfolgreichen Arbeitsrechts-Anwalt Robert Dean (Will Smith) aus Washington, D.C., den er vom College kennt und der gerade ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau Carla (Regina King) sucht. Während des kurzen Gesprächs drückt der Anwalt dem Ornithologen seine Visitenkarte in die Hand, während dieser dem Juristen eine Spielekonsole mit der Videokopie auf Diskette in die Einkaufstüte steckt. Wenige Minuten später wird der Ornithologe von einem Auto tödlich erfasst. Die NSA-Agenten finden bei der Durchsuchung der Leiche nicht die gewünschte Diskette, dafür aber die Visitenkarte des ahnungslosen Anwalts. Da Dean offensichtlich nicht mit Reynolds kooperieren will, macht die NSA dem sympathischen Anwalt das Leben zur Hölle. Ihm wird eine neuerliche Affäre mit seiner früheren Freundin Rachel F. Banks (Lisa Bonet) nachgesagt, die allerdings nur als Mittlerin zu einem Mann namens Brill für Dean tätig ist, dann unlautere Beziehungen zu dem Mafiaboss Pintero (Tom Sizemore). Dean verliert seinen Job, seine Frau und seine Geldmittel.
Um sein Leben wieder zurückzugewinnen, stellt Rachel einen Kontakt zu Brill (Gabriel Byrne) her, der sich allerdings als einer von Reynolds Männern entpuppt. Erst als der echte Brill (Gene Hackman) den Kontakt zu Dean aufnimmt, wird dem Anwalt bewusst, dass Reynolds nicht unversucht lassen wird, an das seine Existenz vernichtende Video zu gelangen…
Kritik:
Mit seinem Drehbuch zu „Enemy of the State“ ist David Marconi („Stirb langsam 4.0“, „The Foreigner“) eine Mischung aus George Orwells Klassiker „1984“, Francis Ford Coppolas „Der Dialog“ (1974) und den realen Gefahren gelungen, die die Ende des 20. Jahrhunderts tatsächlich vorhandenen Überwachungstechnologien heraufbeschwören. Auch wenn dabei das Problem der Abwägung zwischen der Abwehr möglicher Bedrohungen für den Rechtsstaat und der freiheitlichen Grundordnung für jeden Bürger kurz angerissen wird, konzentriert sich Tony Scott ganz auf seine ausgeprägten Stärken, die in der Inszenierung rasanter Action mit schnellen Schnitten und interessanten Perspektiven bestehen.
Das Thema der allumfassenden Überwachungstechnologie bietet dem Filmemacher zudem ein breites Spektrum an visuellen Variationen, die sich aus der Beobachtung per Fernglas, Satellit, Videokamera oder Überwachungskamera ergeben, dazu decken Richtmikrofone und Wanzen das akustische Spektrum ab. Seine Dynamik erzielt „Der Staatsfeind Nr. 1“ aber nicht nur aus der fast lückenlosen Überwachung und Verfolgung von Zielpersonen, dem sekundenschnellen Abruf ihrer Biografie und Gewohnheiten, sondern auch der effizienten Manipulierung eines ganzes Lebens.
Mit Will Smith („Men In Black“, „I Am Legend“) haben die Filmemacher einen charismatischen Star in den Mittelpunkt der Geschichte gestellt, der als rechtschaffender Anwalt und liebender Familienvater die perfekte Identifikationsfigur für das Publikum bildet, während auf der anderen Seite Jon Voight („Mission: Impossible“, „Lara Croft: Tomb Raider“) den „bösen“ Überwachungsstaat personifiziert.
Vor dem Hintergrund dieser Konstellation feuert Scott ein durchweg unterhaltsames Action-Spektakel ab, in dem viele bekannte Gesichter wie Jason Robards, Tom Sizemore, Barry Pepper, Gabriel Byrne, Jack Black, Loren Dean und Lisa Bonet leider nur in kleinen Nebenrollen zu sehen sind. Dafür sorgen Smith, Voight und Gene Hackman (der nach Coppolas „Der Dialog“ wieder in die Rolle des Abhörspezialisten schlüpfen durfte) für die schauspielerischen Highlights in dem temporeich und handwerklich souverän inszenierten Action-Thriller.
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