Hannibal
Ridley Scott war nie daran interessiert gewesen, sich dem allgemeinen Trend in Hollywood anzuschließen, ikonische Filme in unzähligen Sequels ausbluten zu lassen. 2001 änderte der britische Filmemacher allerdings seine Meinung und inszenierte mit „Hannibal“ die lang ersehnte Fortsetzung von Jonathan Demmes Oscar-prämierten Psycho-Schocker „Das Schweigen der Lämmer“, der 1992 bei der Oscar-Verleihung Scotts eigenen Aspiranten „Thelma & Louise“ weit hinter sich ließ. Allerdings gelang es weder Thomas Harris‘ Romanvorlage noch Scotts Adaption der dritten Hannibal-Lecter-Geschichte, an die Qualität des Vorgängers anzuschließen.
Zehn Jahre ist es her, dass Clarice Starling (Julianne Moore) als Neuling beim FBI in Gesprächen mit dem kannibalistischen Serienmörder Dr. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) ihre erste Erfahrungen mit dem Hirn eines genialen Schwerverbrechers sammeln durfte. Seit seiner spektakulären Flucht aus dem Gefängnis blieb Lecter verschwunden, geriet auf die FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher, auf dessen Kopf der Multimillionär Mason Verger (Gary Oldman) eine Belohnung von drei Millionen US-Dollar ausgesetzt hat.
Verger ist der einzige Überlebende von Lecters Opfern und lechzt seit Jahren nach Rache, nachdem Lecter ihn damals dazu gebracht hatte, mit einer Spiegelscherbe sein Gesicht zu häuten und die Hautfetzen seinen Hunden zu fressen zu geben. Indem er Memorabilien von Lecters Wärter Barney (Frankie Faison) erwirbt, erhofft sich der an den Rollstuhl gefesselte Verger, Hinweise auf Lecters Verbleib zu erhalten. Währenddessen wird Starling nach einem völlig verpatzten, von ihr geleiteten FBI-Einsatz gegen die Drogen-Bossin Evelda Drumgo (Hazelle Goodman) vom Dienst suspendiert. Das hält sie allerdings nicht davon ab, auf eigene Faust Hinweisen nachzugehen, dass sich Lecter in Florenz aufhält, wo Kommissar Rinaldo Pazzi (Giancarlo Giannini) das rätselhafte Verschwinden des Vorgängers von Dr. Fell untersucht und dahinterkommt, dass es sich bei dem zukünftigen Museumskurator der Capponi-Bibliothek um den gesuchten Dr. Lecter handelt.
Bevor Pazzi allerdings in den Genuss der Belohnung kommt, wird er von Lecter im Palazzo Vecchio wie einer seiner Vorfahren an einem Seil aufgeknüpft aus dem Fenster geworfen, doch Vergers Handlangern gelingt es, Lecter in ihre Gewalt zu bringen und zu ihrem Arbeitgeber zu bringen, der Lecter Stück für Stück an seine abgerichteten Schweine verfüttern will…
Kritik:
Sowohl die Leser von Thomas Harris‘ Bestseller-Roman „Das Schweigen der Lämmer“ als auch die Fans von Jonathan Demmes gleichnamiger Verfilmung mit Jodie Foster und Anthony Hopkins in den Hauptrollen sehnten sich nach einer Fortsetzung, mit der sich Harris nach einer selbst auferlegten Schreibpause allerdings schwer tat. Für die filmische Adaption standen allerdings weder Regisseur Demme noch Jodie Foster zur Verfügung, so dass Ridley Scott ins Spiel kam, der allerdings kein Interesse daran hatte, ein bloßes Sequel zu „Das Schweigen der Lämmer“ zu inszenieren, sondern eher ein Reboot.
Dass Jodie Foster nicht mehr in die ikonische Rolle der Clarice Starling schlüpfen wollte, ist dahingehend zu verschmerzen, als Starling ohnehin in „Hannibal“ in die zweite Reihe rückt. Wie der Titel schon ankündigt, ist der Film vor allem Hannibal Lecters Show. So großartig es erscheinen mag, den famosen Anthony Hopkins erneut als diabolischen Gentleman-Killer zu erleben, verliert er hier doch viel von seiner fast schon mystischen Ausstrahlung, wenn seine neuen Verbrechen mit ungewohnter Detailfreude inszeniert werden.
Es wirkt schon etwas trashig, wenn Pazzis Gedärme auf den Palazzo-Vorplatz klatschen und Lecter im Finale genüsslich die Schädeldecke des korrupten Paul Krendler (Ray Liotta) abhebt, um unnütze Teile seines Gehirns anzubraten und ihn verspeisen zu lassen. Auf der anderen Seite sah Julianne Moore noch nie so sexy aus wie in dem Abendkleid, mit dem sie an dem perfiden Gourmet-Dinner teilnimmt.
Während Scott die Thriller-Story routiniert erzählt, berauscht er sein Publikum mit durchaus edlen Bildern, für die das Renaissance-Mekka von Florenz wie gemacht ist. Vor allem die Szenen in der Oper, für die der irische Komponist Patrick Cassidy – basierend auf einem Sonett aus Dante Alighieris „Vita Nova“ - eigens die Opernarie „Vide Cor Meum“ komponierte, sind ein wahrer Augenschmaus. Die Brillanz, die Scott einmal mehr auf der visuellen und akustischen Ebene zum Ausdruck bringt, kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ unerreicht bleibt. Für sich genommen bietet „Hannibal“ allerdings einen vielschichtigen Psycho-Thriller, der ebenso drastische wie elegante Bilder miteinander vereint.
Dass „Hannibal“ trotz der drastischen Szenen längst nicht so schockiert, liegt vor allem daran, dass das Psycho-Duell zwischen Lecter und Starling längst nicht mehr so intensiv ausgefochten wird. Aus dem Mentor-Schülerin-Verhältnis ist fast eine Romanze geworden, in der Anthony Hopkins kaum noch Gelegenheit bekommt, allein mit seiner ausdrucksvollen Mimik und Gestik für Schauer zu sorgen, die dem Zuschauer bei seinem Anblick über den Rücken laufen. Und Julianne Moore, die sich immerhin gegen Kolleginnen wie Gillian Anderson, Angelina Jolie und Hilary Swank durchsetzen konnte, bekommt gar nicht erst die Gelegenheit, sich mit Lecter zu messen. Ihre Kämpfe bleiben auf die Reihen beim FBI und Justizministerium beschränkt.
Das Ende bleibt so offen, dass zwar die Möglichkeit eines weiteren Sequels besteht, aber Thomas Harris hat dann doch lieber mit „Hannibal Rising“ die wenig packende Vorgeschichte erzählt, deren Verfilmung kaum der Rede wert ist.
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