Hurricane
In den 1960er Jahren machte Norman Jewison vor allem durch die Komödien „Was diese Frau so alles treibt“, „Schick mir keine Blumen“, „Bei Madame Coco“ und „Die Russen kommen! Die Russen kommen!“, aber auch mit den beiden Steve-McQueen-Klassikern „Cincinnati Kid“ und „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ sowie dem Antirassismus-Drama „In der Hitze der Nacht“ Furore. An diese Erfolge konnte Jewison in den nachfolgenden Jahren nur sporadisch anknüpfen – etwas mit dem Justiz-Drama „…und Gerechtigkeit für alle“ und der Cher-Komödie „Mondsüchtig“ -, aber 1999 setzte er mit dem biografischen Justizdrama „Hurricane“ noch einmal einen starken Schlussakkord seiner Regiekarriere, die er wenige Jahre darauf beenden sollte.
Da ihm als Schwarzer kaum andere Möglichkeiten offenstehen, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, strebt Rubin Carter (Denzel Washington) eine Karriere als Boxer an und kämpft sich bis nach ganz oben, was ihm dem Beinamen „The Hurricane“ einbringt. Nach einem Besuch in der Bar lässt er sich von John Artis (Garland Whitt), einem seiner Fans, nach Hause fahren, doch wird sein Wagen unterwegs von der Polizei angehalten. Offensichtlich gibt es Zeugen, die gesehen haben wollen, wie Carter und sein schwarzer Compagnon drei Menschen in der Bar erschossen und den Tatort mit ihrem weißen Dodge verlassen haben. Tatsächlich hat es Detective Della Pesca (Dan Hedaya) seit Carters elften Lebensjahr auf ihn abgesehen und sorgt dafür, dass bestimmte Zeugenaussagen gar nicht zu Protokoll genommen und andere so bearbeitet werden, dass das Gericht Carter und seinen Fahrer im Jahr 1966 jeweils zu dreimal lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt.
Carter kämpft aber auch im Gefängnis um Gerechtigkeit, setzt sich akribisch mit den Unterlagen zu seinem Fall auseinander und bekommt eines Tages unerwartete Schützenhilfe von den drei kanadischen Jurastudenten Sam (Liev Schreiber), Lisa (Deborah Kara Unger) und Terry (John Hannah), die den jungen Schwarzen Lesra (Vicellous Shannon) bei sich aufgenommen haben, um ihm eine gute Schulausbildung zu ermöglichen. Das erste Buch, das sich Lesra kauft, ist Rubin „Hurricane“ Carters Autobiografie „The 16th Round“, das auch die drei Studenten fesselt. Sie nehmen Kontakt zu Carters Anwälten Leon Friedman (Harris Yulin) und Myron Bedlock (David Paymer) auf und ziehen von Toronto in eine Wohnung direkt gegenüber der Haftanstalt. Obwohl Carter mit seinen Berufungsverfahren immer wieder scheitert, geben vor allem Lesra und die drei Studenten nicht auf und ziehen mit dem Fall vor das Bundesgericht, wo Richter Sarokin (Rod Steiger) die Verteidigung sofort auf die Risiken aufmerksam macht…
Kritik:
Zwar handelt Jewisons Films von der schwarzen Boxlegende Rubin „Hurricane“ Carter, doch steht weniger dessen sportliche Karriere als dessen durch Rassismus motivierte Verurteilung und sein Kampf für Gerechtigkeit im Vordergrund der Geschichte. Als Grundlage dienten dem routinierten Filmemacher neben Carters eigener Autobiografie auch die Biografie „Lazarus and the Hurricane“ von Sam Chaiton und Terry Swinton, doch hat sich Jewison einige Freiheiten genommen, um die Ungerechtigkeit, die seinem Protagonisten durch das Justizsystem widerfahren ist, noch stärker herauszustellen. Dafür wird beispielsweise ein Kampf um die Weltmeisterschaft zwischen Carter und dem weißen Titelverteidiger Joey Giardello so dargestellt, als hätte Giardello zu Unrecht seinen Titel verteidigen können. Dabei sind sich Zeitzeugen einig, dass das von der Jury einstimmig gefällte Urteil völlig in Ordnung ging.
Während Carter in einer Szene als hochdekorierter Soldat zu sehen ist, stand er tatsächlich wegen seines ständigen Ungehorsams viermal vor dem Kriegsgericht und wurde schließlich 1956 als „für den Militärdienst untauglich“ aus der US-Armee entlassen. Mit diesen Beschönigungen verstärkt Jewison den Eindruck, dass Carter nicht nur zu Unrecht verurteilt worden ist, sondern schon vorher ein unbescholtenes Leben geführt habe. Dabei hätte ein wenig mehr Ausgewogenheit dem Film durchaus gutgetan.
Jewison kann sich in „Hurricane“ ganz auf seinen Hauptdarsteller Denzel Washington („Philadelphia“, „Malcolm X“) verlassen, der sowohl in den Kampfszenen als auch im Gefängnis alle Facetten seiner Figur ausspielen darf, den Hass, den er im Ring an seinen Gegnern auslassen soll, die Verzweiflung der jahrelangen Inhaftierung in dem Wissen, unschuldig hinter Gittern zu sitzen, und die Hoffnung, dass ich ihn Hass zwar ins Gefängnis gebracht habe, Liebe ihn aber befreien würde. Neben Denzel Washington verblassen die übrigen Darsteller nahezu, liefern aber eine ordentliche Performance ab.
Roger Deakins („No Country For Old Men“, „James Bond 007: Skyfall“) sorgt für die edlen Bilder, Christopher Young („The Gift“, „Jennifer 8“) für einen einfühlsamen, jazzig angehauchten Score, doch enthält sich Jewison jeglicher filmischer Spielereien, um die Aufmerksamkeit des Publikums ganz auf die Geschichte des Protagonisten zu lenken, der sich übrigens nach seiner unrechtmäßigen Verurteilung so prominente Unterstützer wie Muhammed Ali, Bob Dylan und Ellen Burstyn auf den Plan rief. Dennoch sollte es 20 Jahre dauern, bis Rubin „Hurricane“ Carter 1985 freigelassen wurde…
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