Die Nacht

Mit „Die mit der Liebe spielen“ (1960) begann Michelangelo Antonioni seine meisterhafte Trilogie über die Entfremdung des Menschen in einer industrialisierten, entmenschlichten, gefühllosen Umgebung und fand dafür eine formvollendete, ästhetisierte Bildsprache, mit der Antonioni zunehmend ohne gesprochene Worte auskam und dafür Landschaft und Stadtarchitektur als Spiegelbild der Emotionen seiner Figuren einsetzte. „Die Nacht“ (1961) stellte dabei den ausdrucksstarken Mittelteil der Trilogie dar, die ein Jahr später mit „Liebe 1962“ abgeschlossen wurde, und bot Antonioni erstmals die Möglichkeit, mit prominenten Darstellern zu arbeiten, in diesem Fall mit Marcello Mastroianni und Jeanne Moreau.

Inhalt:

Der Schriftsteller Giovanni Pontano (Marcello Mastroianni) ist seit zehn Jahren mit der attraktiven, aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Lidia (Jeanne Moreau) verheiratet, doch haben sie sich längst auseinandergelebt. Nach dem ernüchternden Besuch bei ihrem sterbenskranken Freund Tommaso Garani (Bernhard Wicki) im Krankenhaus gehen sie getrennte Wege. Auf dem Weg zu einer Werbeveranstaltung für sein neuestes Buch wird Giovanni zunächst von einer Nymphomanin (Maria Pia Luzi) in ihr Zimmer gezogen, ohne ihr großen Widerstand zu leisten, während Lidia zu Fuß durch die Straßen Mailands irrt, um die Orte ihrer Vergangenheit aufzusuchen. 
Später lässt sich Lidia von ihrem Mann abholen und besucht vor der Einladung zu einer Party, die ein reicher Mäzen von Giovanni auf seinem Anwesen veranstaltet, noch ein Tanzlokal. Auf der Party gehen beide wieder ihre eigenen Wege – während Lidia in unangenehme Gespräche mit alten Bekannten verwickelt wird und mit einem charmanten jungen Mann flirtet, erhält Giovanni das lukrative Angebot seines Gastgebers und Mäzen Gherardini (Vincenzo Corbella), ein Buch über ihn und die Geschichte seiner Firma zu schreiben. 
Als Giovanni anschließend mit der hübschen Valentina (Monica Vitti), der Tochter des Gastgebers, flirtet, beobachtet Lidia vom Balkon aus, wie er die junge Frau küsst, und verlässt mit einem Mann die Party, nachdem dieser sein Interesse an ihr bekundet hatte…

Kritik:

Nach dem Auf und Ab von Beziehungen, die sich in „Die mit der Liebe spielen“ entwickelt und aufgelöst haben, beschreibt Antonioni in „Die Nacht“ den Stillstand in einer langjährigen Beziehung, aber auch die Unmöglichkeit, neue sinnerfüllende und leidenschaftliche Beziehungen einzugehen. Aber auch der Tod wird anders behandelt. In „Die mit der Liebe spielen“ löst das Verschwinden einer jungen Frau auf einer Insel eine zunehmend breiter angelegte Suche nach ihr aus, ohne dass die Frau aufgefunden wird. 
In „Die Nacht“ wird der Tod von Giovannis und Lidias gemeinsamen Freund Tommaso ganz konkret. Der mit einem Glas Champagner beendete Besuch bei dem nur noch mit Morphium behandelten Tommaso bleibt die letzte Begegnung mit ihm.
Antonioni und seine Co-Autoren Ennio Flaiano („8 ½“, „Das süße Leben“) und Tonino Guerra („Amarcord“, „Blow Up“) beschränken die Handlung auf einen Tag und die darauffolgende Nacht. Bereits die Eröffnungsszene mit dem Besuch des Ehepaars im Krankenhaus beschreibt deutlich die Distanz zwischen Giovanni und Lidia, wenn sie sich im Fahrstuhl nicht ansehen können und anschließend getrennte Wege gehen. Während Lidia lieber die Orte ihrer Vergangenheit aufsucht, schaut Giovanni bereits nach vorn, lässt sich Giovanni allzu bereitwillig auf zärtliche Momente sowohl mit einer Nymphomanin als auch mit der jungen Tochter seines Mäzens ein. Dabei braucht es nicht viele Worte, um die Distanz zwischen den langjährig Verheirateten zu demonstrieren. 
Antonioni benutzt vor allem die moderne Architektur in Mailand, eine baufällige Großstadtkulisse mit verlassenen Hinterhöfen und rissigen Mauern, um das triste Innenleben seiner Figuren zu beschreiben, die er wie Objekte in seine streng durchkomponierten Bilder platziert, mit Gittern voneinander trennt, selbst wenn sie miteinander sprechen, und in ihrer Bewegungslosigkeit konstatieren sie letztlich auch die Unfähigkeit, ihre tatsächlichen Gefühle auszuleben.

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