Blow Up

Mit seiner gefeierten Trilogie der Entfremdung („Die mit der Liebe spielen“, „Die Nacht“, „Liebe 1962“), die mit „Rote Wüste“ (1964) sogar zu einer Tetralogie anwuchs, wurde Michelangelo Antonioni auch für internationale Produktionen interessant, so dass er einen Vertrag mit MGM über drei Filme abschließen konnte. Gleich mit der ersten Produktion für MGM, „Blow Up“ (1966), gelang Antonioni nicht nur sein größter und einziger kommerzieller Erfolg, sondern auch ein etwas anderes Portrait auf dem Höhepunkt der Swinging Sixties in London.

Inhalt:

Der junge Thomas (David Hemmings) ist ein erfolgreicher Modefotograf, arbeitet aber auch an einem Schwarzweiß-Bildband mit künstlerisch ambitionierten Fotos vom Londoner Stadtleben, wofür er auch eine Nacht in einer Obdachlosenunterkunft verbringt. Auf der Suche nach weiteren Motiven macht er im Maryon Park Fotos von einem küssenden Paar, das er nicht um Erlaubnis gefragt hat. Nach einigen Minuten entdeckt die küssende Frau (Vanessa Redgrave) den Fotografen, scheucht ihn weg, bittet um die Fotos und rennt schließlich davon, was Thomas zum Anlass für weitere Aufnahmen nimmt. Als die Frau Thomas zuhause aufsucht, verlangt sie erneut die Herausgabe der Fotos, da der ältere Mann, mit dem sie sich im Park getroffen habe, ihr Geliebter sei und eine Veröffentlichung für Probleme sorgen würde. Als Gegenleistung bietet sie sich selbst Thomas an, der ihr schließlich eine leere Filmpatrone in die Hand drückt. Beim Entwickeln und Vergrößern der Fotos folgt Thomas dem Blick der Frau in Richtung eines Gebüschs und meint dabei, einen Mann mit einer Pistole mit Schalldämpfer zu erkennen. Auf einem anderen stark vergrößerten Foto glaubt Thomas, die Leiche des Mannes unter einem Baum zu entdecken. Nachdem Thomas von zwei jungen Frauen (Jane Birkin, Gillian Hills) besucht worden ist, die als Models arbeiten wollen und die sich von ihn in einem wilden Gerangel ausziehen lassen, macht sich Thomas auf den Weg in den Park und entdeckt tatsächlich eine männliche Leiche, die immer noch auf dem Rasen hinter dem Gebüsch liegt. Bei seiner Rückkehr in sein Atelier muss er allerdings feststellen, dass Einbrecher alle Fotos und Negative gestohlen worden sind, die den Mord dokumentieren, einzig eine zwischen den Möbeln gerutschte Vergrößerung von der Leiche im Gras ist noch da, allerdings ist dieses Blow Up so stark gekörnt, dass der Körper wie eine abstrakte Masse wirkt. Schließlich versucht Thomas, seinen Agenten Ron (Peter Bowles) dazu zu bewegen, mit ihm den Tatort aufzusuchen, gerät dabei aber in ein Clubkonzert der Yardbirds, dessen Gitarrist Jeff Beck nach Problemen mit dem Verstärker seine Gitarre auf der Bühne zertrümmert. Schließlich bleibt er auf einer Drogenparty bei Ron hängen. Als Thomas am nächsten Morgen allein in den Park zurückkehrt, ist die Leiche verschwunden…

Kritik:

Michelangelo Antonioni ließ sich für „Blow Up“ von Julio Cortázars in Paris spielender und 1959 veröffentlichter Erzählung „Las Babas del Diablo“ inspirieren, die wiederum auf einer Geschichte basiert, die der Fotograf Sergio Larrain dem Autor erzählte. Den surrealistischen Charakter der Geschichte über einen französischen Übersetzer und Amateur-Fotografen, der seine Pariser Wohnung verlässt, um auf der Ile Saint-Louis ein Liebespaar unterschiedlichen Alters beobachtet und fotografiert, fängt Antonioni vor allem in grellen Blautönen ein, aber auch die poppigen Kleider, in denen Thomas seine Models fotografiert, tragen zur künstlichen Atmosphäre des Films bei. 
Einmal mehr drehte Antonioni in einer Großstadt, wobei London die Swinging Sixties mit den Beatles und der damit einhergehenden Mod-Kultur natürlich das lebendige Zentrum jener Zeit gewesen ist. David Hemmings („Barbarella“, „Rosso – Die Farbe des Todes“) verkörpert den im Film namenlosen (Thomas heißt er nur im Drehbuch) Modefotografen als egozentrischen, aber auch coolen Lebemann, der von seinem Job (und den lustlosen Models) recht angeödet ist, aber nichts so recht zu Ende bringt, auch nicht sein ambitioniertes Fotobuch-Projekt, für das er immer neue Ideen entdeckt. Mit dem zufälligen Entdecken eines Mordversuchs hätte sich „Blow Up“ zu einem Krimi entwickeln könnte, wie es später Brian De Palmas von Antonionis Film inspirierter Thriller „Blow Out“ auch tat, doch so wie bei „Die mit der Liebe spielen“ verschwindet auch hier das Opfer. 
Schnell wird klar, dass es Antonioni nicht um die Aufklärung eines Mordes geht, sondern um verschiedene Arten der Wahrnehmung in einer wieder einmal entfremdeten urbanen Welt, in der der narzisstische Modefotograf nichts empfindet. Affären mit den hübschen Models interessieren ihn nicht, auch wenn sich die Fotosession mit Verushka (Veruschka von Lehndorff) wie eine sexuelle Verführung ausnimmt. Interessant sind die Zitate aus der Popkultur, der Drogenkonsum, der bei der Veränderung der Wahrnehmung eine gewichtige Rolle spielt, die Musik der Yardbirds im Club, die Beliebigkeit sexueller Begegnungen und die schrille Mode, die schnell ihren Reiz verliert. Wenn Thomas am Ende einer Pantomimen-Truppe beim imaginären Tennisspiel zuschaut und ihnen einen vermeintlich über den Platz geschossenen Tennisball zurückwirft, scheint die Illusion perfekt – oder eben nur die Aufhebung der Grenzen zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit.

Kommentare

Beliebte Posts