Jenseits der Wolken
Durch einen Schlaganfall, den Michelangelo Antonioni 1985
erlitt, verlor der Filmemacher weitgehend sein Sprachvermögen und war
rechtsseitig gelähmt. Dennoch konnte er zehn Jahre später mit dem
Episoden-Drama „Jenseits der Wolken“ einen weiteren Film realisieren, der auf
seinem eigenen Erzählband „Bowling am Tiber” basierte und wobei ihm Wim Wenders
nicht nur als Unterstützung beiseite stand, sondern auch die Rahmenhandlung inszenierte.
Inhalt:
Ein Regisseur (John Malkovich) reist mit Fotoapparat
und Notizblock durch Italien und Frankreich auf der Suche nach Inspiration für
einen neuen Film und dokumentiert verschiedene ungewöhnliche Beziehungen. So lernt
der Geschäftsmann Silvano (Kim Rossi Stuart) auf der Durchreise in
Ferrara die Lehrerin Carmen (Inés Sastre) kennen, die in derselben
Pension ein Zimmer hat, die sie ihm empfohlen hat. Als sie sich abends vor Carmens
Zimmertür verabschieden, traut sich Silvano nicht, einen Schritt weiterzugehen,
während sie die ganze Nacht vergeblich auf ihn wartet. Als er am nächsten
Morgen beim Portier nach der Frau von Zimmer 8 fragt, ist sie schon zur Arbeit
gegangen. Erst zwei Jahre später begegnet er Carmen nach einem Kinobesuch
wieder, doch auf eine Beziehung mit ihr will er sich nicht einlassen, weil er
befürchtet, die Realität könne nicht mit seinen Emotionen Schritt halten.
In Portofino trifft der Regisseur auf eine melancholische
junge Frau (Sophie Marceau), die ihn sofort fasziniert. Er folgt ihr in
das Modegeschäft, in dem sie arbeitet, doch auch wenn die Frau ihre Kollegin
bittet, sie mit dem Mann alleinzulassen, kommt kein Gespräch mit dem Mann
zustande. Später trifft die Verkäuferin den Mann in einem Café wieder und
gesteht ihm sofort, dass sie ihren Vater mit zwölf Messerstichen getötet und
bis zu ihrem Freispruch drei Monate im Gefängnis gesessen habe. Der Regisseur
schläft mit der schönen Frau und überlegt später, wie die Geschichte mit der
jungen Frau seinen neuen Film beeinflussen wird.
In einem Pariser Café spricht eine junge Frau (Chiara
Caselli) einen in Paris lebenden Amerikaner (Peter Weller) an, und
sie kommen ins Gespräch. Drei Jahre später kommt der Mann von einem Treffen mit
der jungen Frau zurück, mit der er inzwischen ein Verhältnis hat. Seine Frau
Patricia (Fanny Ardant), die unter der Untreue ihres Mannes leidet,
verlangt von ihm, sich für eine von ihnen zu entscheiden. Er verspricht ihr,
seine Affäre zu beenden, und sie schlafen seit langer Zeit das erste Mal wieder
miteinander. Als der Mann zu seiner Geliebten zurückkehrt und ihr erzählt, mit
seiner Frau geschlafen zu haben, reagiert sie eifersüchtig. Sie beginnen zu
streiten, landen dann jedoch erneut zusammen im Bett.
Nachdem Patricia die Scheidung eingereicht und sich eine
neue Wohnung gesucht hat, trifft sie dort auf den Vormieter Carlo (Jean Reno).
Dessen Frau hat ihn gerade für ihren Liebhaber verlassen und die meisten ihrer
gemeinsamen Sachen aus der Wohnung geschafft. Berührt von ihren ähnlich
schmerzhaften Erfahrungen, nimmt Carlo Patricias Hand und küsst sie.
Der Regisseur fährt daraufhin – über das Leben und seine
Grenzen sinnierend – mit dem Zug durch eine ländliche Gegend. Auf einem Hügel
hält ein Maler (Marcello Mastroianni) die Landschaft auf einem Bild fest
und erklärt einer Frau (Jeanne Moreau), wie wichtig es sei, von den
großen Meistern zu kopieren.In Aix-en-Provence betrachtet der Regisseur die an der Wand
hängenden Bilder seines Hotels und bemerkt einen jungen Mann namens Niccolo (Vincent
Perez). Dieser läuft daraufhin auf der Straße einem hübschen Mädchen (Irène
Jacob) hinterher. Obwohl sie ihn zunächst abblitzen lässt, bleibt er hartnäckig
und folgt ihr zunächst zu einer Kirche, wo sie andächtig an einer Messe
teilnimmt, und später im Regen bis zu ihrer Wohnung. Er wolle sie unbedingt
wiedersehen. Sie erklärt ihm jedoch, dass sie demnächst in ein Kloster
eintreten und damit dem weltlichen Leben entsagen werde.
Kritik:
Auch wenn mit Wim Wenders („Paris, Texas“, „Himmel
über Berlin“) ein renommierter Filmemacher über die Produktion wachte und
selbst die Rahmenhandlung um den Regisseur auf der Suche nach Ideen für einen
neuen Film inszenierte, trägt „Jenseits der Wolken“ doch eindeutig Antonionis
Handschrift. Das liegt vor allem daran, dass das Drehbuch für die einzelnen
Episoden recht genau den zugrundeliegenden Geschichten aus Antonionis Erzählband
„Bowling am Tiber” folgte.
Einmal mehr geht es um das (Nicht-)Zustandekommen
von Beziehungen und Trennungen, es geht um überhöhte Erwartungen, enttäuschte
Hoffnungen und Verlustängste, um Begehren und dem Verzicht sinnlicher Erfahrungen.
Durch die episodenhafte Struktur kommen wir den einzelnen, oft namenlosen
Figuren nie wirklich nahe, und so wirken die Geschichten wie reine Gedankenspiele
des Filmemachers, inspiriert von den jeweiligen (stets verregneten oder
regennassen) Schauplätzen in Ferrara, Portofino, Paris und Aix-en-Provence. Erwähnenswert
ist die illustre Riege an Stars, die allerdings kaum die Möglichkeit finden, ihren
Figuren Profil zu verleihen, und der Soundtrack mit Stücken von Van Morrison,
Passengers (einem Projekt von Brian Eno und Mitgliedern der irischen
Rockband U2) und Piano-Klängen von Wim Wenders‘ Komponisten Laurent
Petitgand.
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