Rote Wüste

Bereist mit seiner meisterhaft in Schwarzweiß inszenierten Trilogie der Entfremdung („Die mit der Liebe spielen“, „Die Nacht“, „Liebe 1962“) thematisierte Michelangelo Antonioni die Entfremdung menschlicher Individuen in der modernen Großstadt, wobei er seine Figuren oft wie Objekte innerhalb der urbanen Architektur oder leeren Straßenzügen platzierte, um ihre innere Gefühlslosigkeit einzufangen. Mit seinem ersten Farbfilm „(Die) Rote Wüste“ (1964) treibt er dieses Unterfangen auf die Spitze.

Inhalt:

Nach einem Selbstmordversuch erholt sich Giuliana (Monica Vitti) von ihrem Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt. Ihr Mann Ugo (Carlo Chionetti), der als Ingenieur in einem Kernkraftwerk in Ravenna arbeitet, hat wenig Zeit für sie, versucht aber, ihr beizustehen und sie zu unterstützen, indem er ihn beispielsweise einen Laden gekauft hat. Doch weder ihr Sohn, der sich eher mit den technischen Spielereien wie Kreiseln und Robotern beschäftigt, als die Nähe seiner Mutter zu suchen, noch der Laden verleihen ihr die nötige Stärke, weiß sie doch nicht einmal, in welcher Farbe sie ihn streichen soll. Erst als mit Corrado (Richard Harris) ein Geschäftsmann ihres Mannes auftaucht, der mit Ugos Unterstützung Arbeiter für ein Projekt in Patagonien zu rekrutieren versucht, bringt Giuliana die nötige Aufmerksamkeit entgegen, so dass sie sich – auch mit den Freunden ihres Mannes – in einer Hütte am Hafen etwas zerstreuen kann. Doch als sie sich auf eine kurze Affäre mit Corrado einlässt, wird ihr bewusst, dass ihre neurotischen Zustände keineswegs den Rückzug angetreten haben…

Kritik:

Antonioni hat lange gewartet, bis er in Farbe gefilmt hat, und das hat natürlich seine guten Gründe. In Interviews verkündete der international verehrte Filmemacher immer wieder, dass er den Film bemalen wolle wie eine Leinwand und dabei Farbbeziehungen entwickeln und Gemütszustände formen möchte. Die Geschichte des Films spielt inmitten der Hochöfen, Silos, Maschinenhallen und Hafenanlagen der Industriestadt Ravenna, und Antonioni benutzt vor allem ausgewaschene Farben, so dass die im Nebel verschwimmenden Industrieanlagen wie in einem Schwarzweiß-Film wirken. 
Gleich zu Beginn wirkt Giuliana, wenn sie mit ihrem blassgrünen Mantel und ihrem Sohn an der Hand geistesabwesend durch das Industriegebiet wandert, wie ein Wesen von einem anderen Stern, und der Heißhunger auf ein angebissenes Brötchen, das sie einem Arbeiter abschwatzt, scheint nur ihre Verlorenheit zu verstärken. 
In der Folge spielt Antonioni vor allem mit Blau- und Rottönen, während Gelb die giftigen Dämpfe aus den Schloten und die Flagge am Schiff illustriert, die gehisst wird, um eine ansteckende Krankheit dort zu signalisieren. Krank ist auch das Verhältnis von Giuliana zu ihrer Umwelt, kann sie sich doch längst nicht so an ihre Umwelt anpassen wie ihr pragmatisch orientierter Mann. Schließlich hat ihre innere Leere auch zu dem Selbstmordversuch geführt, und seither ist es ihr nicht gelungen, einen Sinn in ihrem Dasein zu entdecken. 
Monica Vitti, die bereits in Antonionis Trilogie der Entfremdung überzeugend die von ihrer Umwelt irritierten und losgelösten, von Bindungsängsten und Liebessehnsucht gezeichneten Protagonistinnen verkörperte, wirkt auch in „Rote Wüste“ glaubwürdig entrückt von den Befindlichkeiten des modernen Lebens in einer industrialisierten Gesellschaft.  

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