Der Gefangene von Alcatraz

Mit seinen ersten beiden Filmen – „Die jungen Wilden“ und „Mein Bruder, ein Lump“ – demonstrierte der bislang für Fernsehserien wie „Playhouse 90“, „Climax!“ und „Danger“ arbeitende Filmemacher John Frankenheimer in den frühen 1960er Jahren, dass sein Talent auch für das größere Leinwandformat taugt. Mit seinem dritten Film, „Der Gefangene von Alcatraz“ (1962), lieferte Frankenheimer schließlich ein frühes Meisterwerk ab, das bis heute nichts von seiner humanistischen Botschaft eingebüßt hat.

Inhalt:

Nachdem er wegen Totschlags verurteilt worden ist, soll der noch junge, stets gewaltbereite Robert Stroud (Burt Lancaster) seine Strafe im Leavenworth Gefängnis im US-Bundesstaat Kansas absitzen. Von Reue zeigt der junge Mann keine Spur, was Gefängnisleiter Harvey Shoemaker (Karl Malden) gleich bei seiner Ankunft merkt, als er ihn wegen des Zerbrechens eines Fensters auf der Fahrt ins Gefängnis sogleich für einen Monat in Isolationshaft sperren muss. Dabei hat Stroud nur einer Frau – auch wenn sie von Shoemaker nur abschätzig als Prostituierte bezeichnet wird – gegen die Gewalt eines Mannes beistehen wollen. Und das Fenster im Zug hat er nur eingeschlagen, damit er und seine Mitgefangenen in dem überhitzten Abteil Luft zum Atmen bekämen. 
Die Schwierigkeiten reißen im Strafvollzug aber nicht ab. Da ein Wärter Strouds Mutter (Thelma Ritter) außerhalb der Besuchszeiten nicht zu ihm gelassen hatte, ersticht Stroud den Wärter.  Seine Mutter kann über die Frau von Präsident Woodrow Wilson erreichen, dass die für diesen Mord verhängte Todesstrafe in lebenslängliche Haft umgewandelt wird. Diese muss er jedoch unter Gefängnisleiter Shoemaker in Einzelhaft verbüßen, so dass seine sozialen Kontakte auf seine Wärter und seine Zellennachbarn reduziert werden. 
Stroud entdeckt eines Tages bei einem Hofgang einen jungen Sperling, den er aufpäppelt und schließlich auch dressiert. Der Nachfolger des Gefängnisleiters Shoemaker erlaubt den Gefangenen die Haltung von Kanarienvögeln. Als ein septisches Fieber viele der Tiere im Gefängnis, auch die von Strouds Zellennachbarn Feto Gomez (Telly Savalas), dahinrafft, eignet sich Stroud im intensiven Selbststudium Kenntnisse der Ornithologie an und experimentiert mit verschiedenen Chemikalien, um ein Heilmittel gegen das Fieber zu finden, bis er schließlich Erfolg hat und so die Bekanntschaft mit der Witwe Stella Johnson (Betty Field) macht, die er nicht nur heiratet, sondern mit die ihm auch anbietet, sein Medikament zu verkaufen. Strouds Mutter reagiert so eifersüchtig auf die neue Frau in dem Leben ihres Sohnes, dass es zum Bruch zwischen Stroud und seiner Mutter kommt. 
Als eine neue Verordnung des Bundesamtes für Strafvollzug die Haltung von Tieren in Gefängnissen verbietet, sorgen öffentliche Proteste zwar für eine beschränkte Erlaubnis der Vogelhaltung, doch Strouds Begnadigungsgesuche werden nach wie vor abgelehnt. Schließlich wird Stroud eines Nachts nach Alcatraz verlegt, wo Shoemaker inzwischen neuer Direktor ist…

Kritik:

Nach Thomas E. Gaddis’ (der in der Anfangs- und Schlussszene des Films von Edmond O‘Brien verkörpert wird) biografischen, 1955 veröffentlichten Roman „Birdman of Alcatraz - The Story of Robert Stroud“ hat John Frankenheimer im Jahr 1962 einen der eindringlichsten Gefängnisdramen der Filmgeschichte inszeniert. Bereits die Bilder während des Vorspanns, wenn mächtige Männerhände sich schützend um einen zarten Vogelkörper legen, vermitteln ein Gefühl von Kraft und Schutzbedürftigkeit und legen den Grundton für einen Film, der vor allem die menschenunwürdigen und entindividualisierenden Umstände in den Gefängnissen anklagt. 
Burt Lancaster, der bereits in Frankenheimers „Die jungen Wilden“ (1961) die Hauptrolle verkörperte, ist hier als zunächst starrsinniges Kraftpaket zu sehen, dessen Toleranzschwelle zur Gewalt schnell überschritten wird, weshalb bei den kleinsten Anlässen die Fäuste fliegen. Auf der anderen Seite haben wir mit dem durch Karl Malden („Endstation Sehnsucht“, „Die Faust im Nacken“) dargestellten Gefängnisdirektor Shoemaker einen Mann, der die Männer in seiner Anstalt durch Disziplin und Gehorsam wieder rehabilitieren will. Die kontrastreichen Schwarzweißbilder von Burnett Guffey („Bonnie und Clyde“, „Verdammt in alle Ewigkeit“) und das Makeup von Robert J. Schiffer („Was geschah wirklich mit Baby Jane?“, „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“) machen gerade in der Gegenüberstellung von Stroud und Shoemaker über die Jahrzehnte deutlich, wie einst kraftstrotzende Männer wie Stroud in der Isolation einer Gefängniszelle dahinwelken, während Shoemaker auch nach vier Jahrzehnten im Strafvollzug körperlich kaum Veränderungen durchgemacht hat. 
Frankenheimer versteht es, Strouds Wandlung zu einem geduldigen und freundlichen Wissenschaftler durch einen hilflos im Gefängnisinnenhof zurückgelassenen Spatzenbabys anzuschieben und eine Leidenschaft entwickeln zu lassen, die erstmals auf das Leben gerichtet ist, wenn er wie besessen an einem Heilmittel gegen das septische Fieber bei seinen Vögeln forscht. 
Die stärkste Szene haben sich Frankenheimer und sein Drehbuchautor Guy Trosper („Der Spion, der aus der Kälte kam“, „Der Besessene“) für den Schluss aufgehoben, wenn Shoemaker und Stroud ihre unterschiedlichen Vorstellungen über die Bedeutung des Begriffes Rehabilitation diskutieren und Stroud betont, dass damit die Wiedererlangung der Würde des Gefangenen, die er während seiner Taten verlor, gemeint sei, nicht bedingungsloser Gehorsam. Die starken Darstellerleistungen, die ausdrucksvolle Kameraarbeit, der zurückhaltende Score von Elmer Bernstein und die humanistische Botschaft des Films machen „Der Gefangene von Alcatraz“ zu einem zeitlosen Meisterwerk.

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