Beruf: Reporter
Auch wenn Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“
(1970) MGM einen enormen finanziellen Verlust bescherte, ließ das Studio den
italienischen Ausnahmeregisseur den vereinbarten dritten Film („Blow Up“,
1966, war der erste innerhalb des MGM-Deals) drehen, allerdings einen anderen
als vom Filmemacher vorgeschlagen. Statt ein Projekt namens „Tecnicamente Dolce
(Technically Sweet)“ zu verwirklichen, das im Amazonas-Gebiet spielen sollte, adaptierte
Antonioni erstmals einen fremden Stoff, eine Geschichte von Mark Peploe,
dem Bruder von Antonionis Lebensgefährtin aus den 1960ern, Claire
Peploe.
Inhalt:
Für einen Dokumentarfilm versucht der Reporter David Locke (Jack
Nicholson), in der Wüste des Tschad Kontakt zu Freiheitskämpfern aufzunehmen. Die
Suche verläuft nicht nur erfolglos, sein Jeep bleibt auch noch im Wüstensand
stecken, sodass Locke gezwungen ist, zu Fuß zum Hotel zurückzukehren, wo er
erschöpft einen Drink und eine Dusche nimmt. Als er das Nachbarzimmer aufsucht,
in dem der mysteriöser Geschäftsmann David Robertson (Charles Mulvehill)
weilt, den Locke kurz zuvor kennengelernt hat, entdeckt er den Mann tot auf
seinem Bett, anscheinend an einem Herzinfarkt gestorben. Locke, der frustriert
von seinem eigenen Leben ist, ergreift die Chance und nimmt die Identität des
Toten an, der ihm verblüffend ähnlichsieht. Er tauscht die Fotos in den
Reisepässen aus, gibt sich von nun an als Robertson aus, zerrt die Leiche in
sein eigenes Zimmer und täuscht vor, Locke sei gestorben.
Locke kehrt nach London zurück, holt in seiner Wohnung
einige persönliche Dinge und reist dann, um Robertsons Termine aus dessen
Kalender wahrzunehmen, nach München, wo er in einem von Robertson gemieteten Schließfach
Fotos von Waffen und Munition findet; Robertson war anscheinend ein
Waffenhändler. In einer Münchener Kirche trifft er auf einen Rebellen aus dem
Tschad und einen deutschen Mittelsmann, von denen er eine große Geldsumme als
Anzahlung auf die Waffen erhält. Sein nächster Termin führt Robertson nach Barcelona,
wo er im Umbraculo einen weiteren Geschäftspartner treffen soll, doch dieser
taucht nicht auf.
Währenddessen bereitet Lockes ehemaliger Chef Martin Knight (Ian
Hendry) mit Lockes Frau Rachel (Jenny Runacre) in London eine
Gedenksendung für Locke vor. Sie versuchen, die Todesumstände Lockes zu klären
und suchen nach Robertson, dessen Spur nach Barcelona führt. Knight fliegt
dorthin; Locke flüchtet vor ihm in die Casa Milà, wo er ein rätselhaftes junges
Mädchen (Maria Schneider) trifft, das er bereits in London gesehen hat. Gemeinsam
fliehen sie aus Barcelona.
Währenddessen hat Rachel in der Botschaft des Tschad die
Hinterlassenschaften ihres Mannes abgeholt und entdeckt, dass in seinem
Reisepass ein fremdes Foto klebt. Auf der Reise nach Spanien wird sie von
Agenten der tschadischen Regierung verfolgt, die auf der Suche nach dem
Waffenhändler Robertson sind, um ihn zu töten, da er die Rebellen mit Waffen
versorgt.
Locke will seine gestohlene Existenz aufgeben und nach Tanger
fliehen, doch das Mädchen überzeugt ihn, seine Rolle beizubehalten, um das
Vermächtnis von Robertson zu erfüllen, doch das hat fatale Folgen…
Kritik:
Auch wenn Antonioni sein ursprünglich geplantes Projekt
nicht realisieren durfte, konnte er Themen verwenden, die auch in „Tecnicamente
Dolce“ eine Rolle spielen sollten, etwa das Motiv des Identitätswechsels
und das der Sehnsucht nach „wilden“ Orten und dem Tod. Dass Hollywood-Star Jack Nicholson für die Hauptrolle gewonnen werden konnte, erwies
sich als Glücksgriff, nachdem „Zabrikie Point“ unter der Verwendung von
Laiendarstellern gelitten hatte, die zwar hübsch anzusehen waren, aber ihren
Rollen keine Tiefe verleihen konnten.
„Beruf: Reporter“, im Original
gefälliger „The Passenger“ betitelt, handelt einmal mehr von einer
existentiellen Krise. Hier geht sie sogar so weit, dass der Reporter bereit
ist, sein Leben gegen das eines anderen einzutauschen, obwohl er nichts über den
Mann weiß, dessen Identität er annimmt. Wie bei Antonioni üblich, treten die
Figuren ohne Vorgeschichte in die Handlung ein.
Der Zuschauer erfährt nicht,
warum David Locke seines Lebens so überdrüssig ist, und auch von seiner
Gefährtin erfahren wir nur, dass sie Architektur-Studentin ist. Maria
Schneider ist zuvor durch Bertoluccis „Der letzte Tango in Paris“
bekannt geworden und wäre auch in einer Liebesszene mit Jack Nicholson zu sehen
gewesen, wäre diese nicht hinausgeschnitten worden. Doch auch wenn das Setting
die Form eines (Spionage-)Thrillers anzunehmen scheint, geht es Antonioni
doch nicht um die Waffengeschäfte, in die der Reporter auf einmal involviert
ist. Vielmehr handelt der Film vom Tod. Erst Robertsons Ableben ermöglicht
David Lockes ersehnten Identitätstausch, und der Kreis schließt sich in einer
der berühmtesten Schlussszene der Filmgeschichte: In einer einzigen langen, sieben
Minuten langen Kamerafahrt, die mit einer 30 Meter hohen Krankonstruktion
realisiert wurde, schwenkt die Kamera von Lockes Hotelbett durch das
vergitterte Fenster auf die Plaza und nach den Ereignissen dort zurück in
Lockes Zimmer.
Antonioni findet in der Abbildung der kargen Wüste
immer wieder eindrucksvolle Bilder und symbolträchtige Farben, um eine
philosophische Meditation über Identität und Tod zu vollenden.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen