Der aus dem Regen kam

Als einer der führenden französischen Regisseure der Nachkriegsära war René Clément für Meisterwerke wie „Schienenschlacht“ (1946), „Verbotene Spiele“ (1952), „Liebling der Frauen“ (1954) und „Nacht der Erfüllung“ (1963) verantwortlich. 1960 inszenierte er mit Alain Delon in der Hauptrolle den Thriller-Klassiker „Nur die Sonne war Zeuge“. Unter seinen letzten Filmen nimmt das Psychodrama „Der aus dem Regen kam“ (1970) eine kleine Sonderstellung ein, ist der noch relativ unbekannte Charles Bronson nach seinem bemerkenswerten Auftritt in Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) in einer ungewöhnlichen Hauptrolle zu sehen.

Inhalt:

Nachdem sie ihre alleinlebende Mutter Juliette (Annie Cordy) in der Bowlingbahn besucht und sich einmal mehr über ihren Alkoholkonsum beschwert, kehrt Mélancolie „Mellie“ Mau (Marlène Jobert) in ihr Haus an der Côte d'Azur zurück, wo sie sich auf eine bevorstehende Hochzeit vorbereitet. Während Mellie sich ein Bad einlässt und schon mal die Strümpfe auszieht, verschafft sich ein Unbekannter Zutritt zu ihrem Haus und bringt die junge Frau in seine Gewalt, fesselt und vergewaltigt sie. So ganz unbekannt ist ihr der Mann allerdings nicht. Er war nämlich, wie sie überraschend feststellen musste, der einzige Fahrgast im Bus, der mit einer roten TWA-Tasche direkt vor der Bowlingbahn ihrer Mutter an der Haltestelle ausgestiegen war und bei strömenden Regen ohne weiteren Kopfschutz durch die Straßen ging.
Als sie nach der Tat aus ihrer Benommenheit erwacht, befreit sich Mellie von den Fesseln und ruft bei der Polizei an, doch legt sie schnell wieder auf, ohne von dem Vorfall berichtet zu haben. Ihr italienischer Mann Tony (Gabriele Tinti), der als Pilot viel unterwegs ist, meldet sich und kündigt an, dass er von einem Freund nach Hause gefahren wird. Schließlich merkt Mellie, dass sich ihr Peiniger noch immer im Haus zu befinden scheint, lädt eines der Gewehre mit Patronen und erschießt den Mann im Kelleraufgang.
Statt die Sache ihrem Mann oder der Polizei zu überlassen, zerrt die zierliche Frau die Leiche in ihren Wagen, gerät in eine Polizeikontrolle, durch die sie ihr alter Schulkamerad, Inspector Toussain (Jean Gaven) aber durchwinkt, und lässt ihren toten Peiniger über die Klippen ins Meer stürzen. Doch damit ist die Sache für Mellie längst nicht erledigt, denn am nächsten Tag taucht ein geheimnisvoller Amerikaner auf, der sich als Harry Dobbs (Charles Bronson) vorstellt und sowohl über den Toten als auch Mellie ungewöhnlich viel weiß – offensichtlich auch, dass sie für seinen Tod verantwortlich ist. Da er seit längerer Zeit hinter dem Mann her gewesen ist, will er ein Geständnis über den wahren Ablauf, doch Mellie weigert sich vehement, etwas zuzugeben. Um dennoch an seine gewünschten Informationen zu kommen, quartiert sich Dobbs bei ihr ein, zwingt sie, Unmengen von Alkohol zu trinken, um ihren Willen zu brechen, und setzt sie vor allem psychisch unter Druck. Doch Mellie erweist sich als stärker als erwartet und dreht den Spieß bald um …

Kritik:

René Clément hat seinem Film ein Zitat aus Lewis Carrolls Kinderbuch-Klassiker „Alice im Wunderland“ vorangestellt und beschreibt damit das Gefühl, das seine irgendwie noch kindlich wirkende Protagonistin während der folgenden Erlebnisse empfunden haben muss: „Entweder musste der Brunnen sehr tief sein, oder sie fiel sehr langsam; denn sie hatte Zeit genug, sich beim Fallen umzusehen und sich zu wundern, was nun wohl geschehen würde.“
Von Beginn an wird Mellie als weibliche Hauptperson eingefügt, die sich in einer frauenfeindlichen Welt zu bewegen scheint. Das wird natürlich gleich früh durch die brutale Vergewaltigung auf die Spitze getrieben, die den Ausgangspunkt für das nachfolgende Psychodrama bildet. Doch das Duell zwischen Dobbs und Mellie bietet auch den Boden für Cléments grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Zwar lehnt sich die Geschichte an das Klischee „alle Männer sind Schweine“ an, das hier vor allem durch Mellies alleinlebende Mutter verkörpert wird, doch im weiteren Verlauf der Story wird deutlich, dass Juliette Affären mit anderen Männern hatte und in flagranti von ihrem Mann erwischt worden war, der wiederum das Weite suchte. Ein gestörtes Verhältnis scheint auch zwischen Mellie und ihrem dominanten, extrem eifersüchtigen Mann Tony zu herrschen, dem es immer noch unverständlich ist, dass es Männer gibt, die beispielsweise in der Küche Hand anlegen. Dennoch sehnt sich Mellie nach der Stärke ihres Mannes. Von ihm erhofft sie den nötigen Rückhalt in ihrer momentanen Krise. Doch Clément offenbart in seinem wendungsreichen wie geheimnisvollen Krimidrama, dass Mellie gar nicht so hilflos ist, wie sie zunächst scheint. Erst tötet sie ihren Peiniger und entsorgt ihn überraschend souverän. Ihr Mann ist zwar nicht einfach zu handhaben, aber Mellie weiß, was sie an ihm hat. Und Dobbs scheint ihr zwar in jeder Hinsicht überlegen zu sein, doch von seinen Machtspielchen lässt sich die junge Frau auch wenig schrecken.
So hat Clément mit „Der aus dem Regen kam“ ein sparsam inszeniertes, aber wunderbar gespieltes Psycho-Duell kreiert, in dem sich Marlène Jobert („Die letzte Adresse“, „Eine schmutzige Affäre“) absolut auf Augenhöhe mit dem späteren Action-Star Charles Bronson („Ein Mann sieht rot“, „Nevada Pass“) begegnet.
"Der aus dem Regen kam" in der IMDb

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