Der Besessene

Marlon Brando hat sich bereits in den 1950er Jahren mit bemerkenswerten Auftritten in „Endstation Sehnsucht“, „Viva Zapata“, „Der Wilde“ und „Die Faust im Nacken“ als herausragender Darsteller etabliert, was er mit seinen schon legendären Rollen in „Der Pate“, „Der letzte Tango in Paris“ und „Apocalypse Now“ nur untermauerte. 1961 übernahm er nicht nur die Hauptrolle in dem fast schon vergessenen Western „Der Besessene“, sondern führte auch erstmals Regie. Es sollte leider die einzige Regiearbeit des großen Mimen bleiben, nachdem die Produktion etliche Schwierigkeiten zu meistern hatte und letztlich die Kosten nicht einspielen konnte. 

Inhalt: 

Im Jahr 1880 bestreiten Doc (Hank Worden), Rio (Marlon Brando) und Dad Longworth (Karl Malden) ihren Lebensunterhalt mit dem Ausrauben von Banken. Nachdem sie eine Bank im mexikanischen Sonoro um ihr Bargeld erleichtert haben, ist ihnen allerdings die berittene Polizei auf den Fersen. In einer Cantina erschießen sie Doc, Rio und sein Freund und Mentor Dad müssen ihre Techtelmechtel mit mexikanischen Frauen abbrechen und in die Berge fliehen. Nachdem sie Rios Pferd zurücklassen müssen, macht sich Dad mit dem erbeuteten Gold auf den Weg, frische Pferde zu besorgen, kehrt aber nicht zurück. Rio wird von der Polizei umzingelt und festgenommen, verbringt die nächsten fünf Jahre im Gefängnis, aus dem er mit einem Schicksalsgenossen schließlich fliehen kann. Er ist nur noch von dem Gedanken getrieben, Dad zu finden und sich für dessen Verrat an ihm zu rächen. Der Bandit Bob Emory (Ben Johnson) verrät ihm, dass Longworth mittlerweile Sheriff in Monterey ist, wo Emory zufälligerweise mit seinem Kumpan Chico Modesto (Larry Duran) die große Bank ausrauben will, wozu er aber gern Rio als zusätzlichen Mann dabei hätte. Rio schließt sich den Männern an, besucht nach der Ankunft in Monterey aber sofort seinen alten Weggefährten in seinem schicken Haus am Stadtrand, wo Dad mit seiner mexikanischen Frau Maria (Katy Jurado) und deren Tochter Louisa (Pina Pellicier) lebt. Zwar ist Dad zunächst etwas misstrauisch, dass Rio ihn wegen seines Verrats zur Rede stellt, doch offenbar ist dieses Thema für Rio abgeschlossen. Nach einem gemeinsamen Abendessen lädt Louisa Rio sogar ein, noch einen Tag länger zu bleiben, um an dem Fest in der Stadt teilzunehmen. Louisa und Rio kommen sich dabei näher, als es Dad gutheißen könnte. 
Als er durch seinen Deputy Lon (Slim Pickens) von dieser Liason erfährt, nimmt Dad den kurz darauf abgewickelten Bankraub zum Anlass, Rio zunächst öffentlich auszupeitschen, ihm die rechte Hand mit dem Gewehrkolben zu zertrümmern und ihn schließlich ins Gefängnis zu sperren. Doch mit Louisas Hilfe gelingt Rio erneut die Flucht. Nun muss er sich zwischen der Liebe zu Louisa und seinen stärker gewordenen Rachegelüsten entscheiden … 

Kritik:

Marlon Brando ist eigentlich aus der Not heraus auf den Regiestuhl gelangt, nachdem er sich mit dem ursprünglich vorgesehenen Regisseur Stanley Kubrick überworfen hatte. Brando nahm sich sechs Monate Zeit, um Charles Neiders „Die einzig wahre Geschichte vom Leben und grausamen Ende des berühmten Revolverhelden Hendry Jones, genannt Billy the Kid“ nach eigenen Vorstellungen zu verfilmen, doch brauchte es etliche Drehbuchfassungen (an denen auch Sam Peckinpah und Rod Serling mitgewirkt haben) und eine Kürzung des Films um mehr als eine Stunde, ehe der Film mit 140 Minuten schließlich ins Kino kam. Trotz der immensen Schwierigkeiten während der Produktion ist „Der Besessene“ ein eindrucksvoller Western geworden, der ganz auf das Duell zwischen Rio und seinem ehemaligen Partner Dad zugeschnitten ist, aber auch den beiden Frauenfiguren Maria und Louisa für einen Western ungewöhnlich viel Raum zur Entfaltung gibt. 
Im Original heißt der Film „One-Eyed Jacks“ und bezieht sich auf die beiden Karten Pik- und Herz-Bube des anglo-amerikanischen Spielkartenblattes, die im einäugigen Profil abgebildet sind und die sich - entsprechend nebeneinandergelegt - einander anblicken. Es ist eine differenziert ausgestaltete Geschichte zweier Freunde, die sich sehr ähnlich sind und denen der Betrug in jeder Hinsicht ins Blut geschrieben ist. Auch wenn Rio zu Recht Rachegedenken gegenüber seinem alten Freund hegt, ist er nicht viel besser, macht den Frauen mit geklautem Schmuck und rührseligen Geschichten schöne Augen, um sie dann im nächsten Moment wieder sitzenzulassen, und als ausgelost wird, wer neue Pferde besorgt, nimmt Rio in jede Hand eine Patrone, so dass Dad auf jeden Fall derjenige sein musste, der losreitet. Insofern hat Rio sein eigenes Schicksal mit in die Wege geleitet. Erst seine Beziehung zur schönen Stieftochter seines Rivalen weicht ihn etwas auf und verleiht „Der Besessene“ letztlich die tragische Bedeutung, in der sich Rio entweder für die Liebe oder seine Rache entscheiden muss. Obwohl Marlon Brando ganz eindeutig der Star dieses tiefsinnigen Westerns ist, hat er in Karl Malden, mit dem Brando bereits in „Die Faust im Nacken“ und „Endstation Sehnsucht“ zusammen auf der Leinwand zu sehen war, einen charismatisch aufspielenden Darsteller an seiner Seite, dessen Figur das Leben eines Lügners und Verräters führt, denn seiner Familie hat er zwar von seiner Vergangenheit auf der anderen Seite des Gesetzes erzählt, aber nicht, auf welch verräterische Weise er zu seinem Wohlstand gekommen ist. Selbst in der direkten Konfrontation mit Rio erzählt Dad weiterhin Lügen, um das fragile Gleichgewicht zwischen den beiden einstigen Freunden halbwegs aufrechtzuerhalten. Neben diesen beiden herausragenden Darstellern überzeugt vor allem Pina Pellicier als aufrichtig um Rios Liebe kämpfende Frau. Die atemberaubenden, Oscar-nominierten Bilder von Charles Lang („Sabrina“, „Charade“) und die behutsame Inszenierung machen „Der Besessene“ zu einem überragenden Western, der zu Unrecht eine kaum beachtete Rolle in Brandos Werksbiografie einnimmt. 

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