Furcht und Begierde

Stanley Kubrick (1928-1999) hat zwar nur zwölf Spielfilme realisiert, sich damit aber den Ruf eines der visionärsten Filmemacher des 20. Jahrhunderts erworben, dessen Meisterwerke wie „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964), „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968), „Uhrwerk Orange“ (1971) und „Full Metal Jacket“ (1987) gemeinhin zum Kanon der besten Filme aller Zeiten zählen. Posthum ist auch sein erster, nicht mal einstündiger Spielfilm „Furcht und Begierde“ (1953) veröffentlicht worden, der zwar noch längst nicht die Qualität von Kubricks späteren Werken erreicht, aber bereits deutlich die Themen umreißt, die den Filmemacher bis zu seinem Tod beschäftigen sollten. 

Inhalt: 

 In einem unbenannten Krieg zwischen zwei unbekannten Nationen stürzt ein Flugzeug sechs Meilen hinter den feindlichen Linien ab. Die vier überlebenden Soldaten Sergeant Mac (Frank Silvera), Pvt. Sidney (Paul Mazursky), Lieutenant Corby (Kenneth Harp) und Pvt. Fletcher (Stephen Coit) arbeiten sich durch ein unwegsames Waldgebiet vorsichtig vor, um zu ihrem Lager zu gelangen, bevor sie von feindlichen Soldaten entdeckt werden. Als sie an einen Fluss gelangen, beschließen sie, ein Floß zu bauen, um so schneller zu ihrem Bataillon zu kommen. Sie entdecken außerdem drei junge Frauen, von denen sie eine (Virginia Leith), die ihr Versteck ausgemacht hat, an einen Baum binden, damit sie nichts verraten kann. Während Sidney damit beauftragt wird, das Mädchen zu bewachen, kundschaften die anderen drei Soldaten ein abgelegenes Haus aus, in dem offensichtlich ein feindlicher General (Kenneth Harp in einer Doppelrolle) mit seinem Adjutanten (Stephen Coit ebenfalls in einer Doppelrolle) sitzt und das von zwei einfachen Soldaten bewacht wird. 
Sidney gibt dem hübschen Mädchen Wasser aus seiner Hand zu trinken und fängt an, es zu küssen, dann bindet er das Objekt seiner Begierde los und will mit ihm schlafen. Als die junge Frau jedoch flüchtet, wird sie von Sidney erschossen. Auch die drei anderen Männer beenden ihre Erkundung des feindlich besetzten Hauses mit tödlichen Schüssen … 

Kritik: 

Es fällt nicht schwer, „Furcht und Begierde“ als Frühformen der Filme „Uhrwerk Orange“ und „Full Metal Jacket“ zu sehen, in denen ebenfalls gewalttätige Männer ihr Unwesen treiben. Interessant ist jedoch vor allem die Art und Weise, wie Stanley Kubrick schon in seinem ersten Spielfilm, den er mit einem Budget von geschätzten 33.000 Dollar auf 35mm in Schwarz-Weiß gedreht hat, weniger mit Dialogen als mit Nahaufnahmen von den Gesichtern der Beteiligten und ihren Blicken die Zerrissenheit, Angst und Einsamkeit seiner Protagonisten einzufangen versteht. Dabei dienen ihm die Voice-Over-Kommentare als Mittel, um die unterschiedlichen Charaktere der Figuren zu beschreiben. Während Mac davon träumt, aus dem Krieg ein Andenken mitzubringen, das ihn an große Taten erinnert und die Rückkehr in sein banales Leben erträglicher macht, nimmt Fletcher sein Schicksal gleichmütig hin, und Sidney steigert sich mit der Annäherung an die Frau, die kein Wort von sich gibt, in Wahnvorstellungen hinein, die mit dem Tod des Mädchens längst kein Ende finden. Aber auch Corby und Fletcher machen bei der Konfrontation mit den von ihnen getöteten feindlichen Soldaten eine niederschmetternde Entdeckung. 
Die Story und die filmische Umsetzung von „Furcht und Begierde“ machen nicht viel her und bieten nicht mal Stoff für eine einstündige Geschichte, aber als erster Hinweis auf die philosophischen Themen, die Kubrick in seinen späteren Filmen differenzierter ausarbeitet, vor allem die Frage nach der Entscheidungsfähigkeit des Menschen in seinem Umfeld gegen die ihn gerichteten oder ihn umgebenden Kräfte, ist dieses Frühwerk zumindest für Kubrick-Fans von historischem Interesse. Davon abgesehen wartet der Film aber auch mit einigen wunderbaren Szenen auf, so die erotisch aufgeladene Szene, als Sidney der sprachlosen Frau das Wasser reicht und ihre Zunge beim Trinken für ihn eindeutig sinnliche Signale ausstrahlt, aber auch die Begegnung von Fletcher und Corby mit den erschossenen Feinden. Hier findet Kubrick immer wieder beeindruckende Bilder mit den weit aufgerissenen Augen der Beteiligten, die Stauen, Angst oder einfach nur Leblosigkeit ausdrücken. 

Kommentare

Beliebte Posts