Der Wilde

Gleich zu Beginn seiner Schauspielkarriere durfte Marlon Brando die Hauptrollen in Fred Zinnemanns „Die Männer“ (1950), Elia Kazans Tennessee-Williams-Adaption „Endstation Sehnsucht“ (1951) und Rebellen-Biographie „Viva Zapata“ (1952) sowie Joseph L. Mankiewicz‘ historischen Drama „Julius Caesar“ (1963) verkörpern. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ Brando aber vor allem in Laslo Benedeks von wahren Begebenheiten inspirierten Biker-Drama „Der Wilde“ (1953).

Inhalt:

Johnny Strabler (Marlon Brando) führt die Motorrad-Gang „Black Rebel Motorcycle Club“ an und fährt mit seinen Kumpels von Stadt zu Stadt, um sich Motorrad-Rennen anzusehen, Mädchen aufzureißen, Bier zu trinken und Krawall zu machen. Nachdem sie bei einem der Rennen für Aufruhr gesorgt haben und Johnny sich eine der Trophäen unter den Nagel gerissen hat, zieht es die Gang in die kalifornische Kleinstadt Wrightsville, wo sie sich zunächst nur mit den braven Bürgern der Stadt anlegen, als es zu einem Unfall zwischen einem älteren Autofahrer und einem von Johnnys Jungs kommt. Zwar kann der örtliche Sheriff Harry Bleeker (Robert Keith) vorübergehend für Ruhe sorgen, doch die Situation eskaliert schließlich, als mit den „Beetles“ eine weitere Biker-Gang in die Stadt einfällt und sich ihr Anführer Chino (Lee Marvin) mit Johnny eine Schlägerei anzettelt. Chino wird zunächst festgenommen, während Johnny mit seiner Gang so lange im Ort verweilen möchte, bis der verletzte Biker wieder auf den Beinen ist. Im Café macht Johnny die Bekanntschaft mit der hübschen Sherifftochter Kathie (Mary Murphy), die von dem rauen Charme des Bikers fasziniert ist. Allerdings haben Johnny und Kathie kaum Zeit, sich näher kennenzulernen, denn die beiden in der Stadt herumwildernden Motorrad-Gangs nehmen nicht nur die Bar auseinander, sondern sorgen auch auf den nächtlichen Straßen weiter für Chaos und Lärm. Da Bleeker die Situation überhaupt nicht mehr im Griff hat und seine Unfähigkeit in seinem Büro mit Whiskey zu übertünchen versucht, rotten sich mehrere Männer aus der Stadt zusammen, um Johnny eine Lektion zu erteilen …

Kritik: 

Laslo Benedek („Der Tod eines Handlungsreisenden“, „Die Tollkühnen“) hat „Der Wilde“ nach der Kurzgeschichte „The Cyclists‘ Raid“ von Frank Rooney inszeniert, der wiederum einen wahren Vorfall am Rande der „Gala Motorcycle Gypsy Tour“ in Hollister aus dem Jahre 1947 zurückgeht, bei der über 4000 Biker die Stadt verwüsteten. Benedek beginnt seinen Schwarz-Weiß-Film mit einer langen Einstellung, in der Marlon Brando als Johnny auf einer Landstraße seine Motorrad-Gang anführt und mit ihr in die nächste Kleinstadt fährt, wo die in schwarzen Lederjacken gekleideten, aufsässigen Biker gleich für Stunk sorgen, der Rennbahn und des Ortes verwiesen werden. Warum sich die Biker so verhalten, wogegen sie eigentlich rebellieren, wird nie deutlich und lässt sich nur im Kontext der soziokulturellen Entwicklung in den 1940er und 1950er Jahren verstehen, als sich die Jugend nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswunder schwer zu orientieren vermochte und als „zerrüttete“ oder „skeptische“ Generation bezeichnet wurde. Die Orientierungslosigkeit wird in einem Dialog wunderbar auf den Punkt gebracht, denn als Johnny gefragt wird, wogegen er rebelliert, antwortet er nur: „Was haben Sie denn anzubieten?“.
Johnny und seinen Freunden geht es nicht darum, für etwas einzustehen oder zu kämpfen. Stattdessen randalieren sie gegen das Establishment, das ihnen keine sinnvolle Lebensperspektive bieten kann. Selbst die Bekanntschaft mit Kathie kann Johnny nicht aus seiner rebellischen Einstellung hervorlocken. Während sie wortreich versucht, von ihren Träume zu erzählen, die sich letztlich darauf beschränken, einen Mann zu finden, der sie liebt und aus der Stadt holt, kann Johnny ihr nichts entgegnen. Stattdessen stößt er sie von sich, lässt sie nicht an sich heran und zieht letztlich völlig vereinsamt aus der Stadt davon.
Die Geschichte ist ebenso unspektakulär wie vorhersehbar inszeniert und gewinnt ihren Unterhaltungswert vor allem aus Marlon Brandos physisch sehr präsenter Performance. Mehr noch als später James Dean in „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ verkörpert Brando den stets unangepassten, starrköpfigen Rebell, und auch wenn der Film im Vorspann proklamiert, dass sich die nachfolgend geschilderten Ereignisse nie wiederholen dürfen, inspirierte Brando eine ganze Generation und weitere Biker-Filme wie „Die wilden Engel“ (1966) und „Easy Rider“ (1969). Aber auch Lee Marvin („Das dreckige Dutzend“, „Die gefürchteten Vier“) als desillusionierter Kriegsheimkehrer ohne Perspektive und die junge Mary Murphy als aufblühende Kleinstadt-Schönheit machen zusammen mit der schicken Noir-Ästhetik „Der Wilde“ sehenswert.
"Der Wilde" in der IMDb

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