Zeuge gesucht

Nach einem Drehbuch von Billy Wilder inszenierte Robert Siodmak zusammen mit u.a. Edgar G. Ulmer und Fred Zinnemann 1930 mit „Menschen am Sonntag“ eine vergnügliche semi-dokumentarische Romantikkomödie über zwei Pärchen, die nach einer harten Arbeitswoche den Sonntag in vollen Zügen genießen. 14 Jahre später hat der in Dresden geborene Regisseur mit erfolgreichen B-Movies längst in Hollywood Fuß gefasst und präsentierte mit „Zeuge gesucht“ seinen ersten Beitrag zum Film-noir-Genre, auf den noch Klassiker wie „Unter Verdacht“ (1944), „Die Wendeltreppe“ (1946), „Rächer der Unterwelt“ (1946), „Der schwarze Spiegel“ (1946) und „Gewagtes Alibi“ (1949) folgen sollten. 

Inhalt: 

Nach einem Streit mit seiner Frau Marcella will der 32-jährige Ingenieur Scott Henderson (Alan Curtis) seinen Frust in einer Bar hinunterspülen, wo er am Tresen eine ebenso unglückliche, aber geheimnisvolle Frau (Fay Helm) kennenlernt, die sich schließlich bereiterklärt, mit ihm eine Show der Diva Estela Monteiro (Aurora Miranda) anzusehen, die er eigentlich mit seiner Frau besuchen wollte. Die Frau besteht nicht nur darauf, dass sie sich nicht einander mit Namen vorstellen, sondern dass Henderson sie nach der Vorstellung wieder in der Bar absetzt. Zuvor werden sie Zeuge, wie sich die Monteira darüber aufregt, dass Hendersons Begleitung den gleichen auffälligen Hut trägt wie sie selbst. Als Henderson nach Hause kommt und seine Frau begrüßen will, wird er von drei Polizeibeamten begrüßt. Inspektor Burgess (Thomas Gomez) konfrontiert den Mann mit der Nachricht, dass seine Frau mit ermordet im Schlafzimmer liegt. Bei dem Verhör verweist der fassungslose Henderson darauf, dass er den Abend mit einer Frau verbracht habe, deren Namen er allerdings nicht kenne. Er begleitet den Kommissar beim Aufsuchen der Orte, die er mit der Unbekannten frequentiert hat, doch will sich niemand an die Frau erinnern, weder der Barmann noch der Taxifahrer oder die Angestellten im Theater. Als es zum Prozess gegen Henderson kommt, muss seine loyale Sekretärin Carol „Kansas“ Richman (Ella Raines) mitansehen, wie ihr geliebter Chef von den Geschworenen zum Tode verurteilt wird. Sie besucht Henderson im Gefängnis, doch hat sich dieser längst mit seinem Schicksal abgefunden. Doch so schnell gibt Carol nicht auf. Überraschenderweise findet sie in Burgess einen Unterstützer in ihrem Unterfangen, die „Phantom Lady“ rechtzeitig vor der Vollstreckung des Urteils doch noch aufzufinden. In einem aufreizenden Kostüm besucht sie schließlich auch die Show, die ihr Chef mit der geheimnisvollen Unbekannten gesehen hatte, und erregt so die Aufmerksamkeit des Schlagzeugers Cliff (Elisha Cook Jr.), mit dem sie anschließend um die Häuser zieht in der Hoffnung, aus ihm etwas herauszubekommen. Tatsächlich vertraut er ihr im bereits angetrunkenen Zustand an, dass er gerade 500 Dollar dafür bekommen habe, eine Frau zu verleugnen. Doch als Carol aufgeregt den Inspektor informiert, finden sie den Mann ebenso mit einer Krawatte erdrosselt vor wie Hendersons Frau. Als Hendersons bester Freund Jack Marlow (Francot Tone) von einer Schiffsreise nach Südamerika zurückkehrt, unterstützt er Burgess und Carol bei der Suche nach der Frau … 

Kritik: 

Dass „Phantom Lady“ einen so respektablen Ruf genießt und zum klassischen Kanon des Film-noir-Genres gezählt wird, liegt sicherlich nicht an der Story. Auch wenn die Geschichte nicht wie so oft von einem bedauernswerten Ich-Erzähler in Rückblenden erzählt wird, wobei der Zuschauer dann in der Regel auch nur die Perspektive des Protagonisten zu sehen bekommt, steht auch in Siodmaks „Zeuge gesucht“ – so der deutsche Verleihtitel – ein Mann im Mittelpunkt, dem übel mitgespielt wird. 
Von dem Ehestreit, der zu Hendersons Zug durch die Bars führt, bekommt das Publikum nichts zu sehen. Dafür wird von Beginn an deutlich, dass Hendersons Geschichte in Begleitung der geheimnisvollen Frau, deren Namen er nicht in Erfahrung bringt, der Wahrheit entspricht, während die befragten Zeugen aus zunächst unerfindlichen Gründen Henderson ohne Begleitung gesehen haben wollen. Dass Henderson so übel mitgespielt wird, berührt den Zuschauer kaum. Dafür wirkt Alan Curtis („Entscheidung in der Sierra“, „Die Unvollendete“) in der Rolle des zum Tode Verurteilten zu brav und schicksalsergeben. Dagegen liegt der Fokus ganz auf der resoluten wie loyalen Sekretärin, die sich deshalb so für den Prozess und die Berufung interessiert, weil sie eben in ihren Chef verliebt ist. Um ihm vor der Todesstrafe zu bewahren, setzt sie sich Abend für Abend nahezu stoisch in die Bar, die Henderson zum Verhängnis wurde, schlüpft in eine laszive Rolle, um einen Zeugen zum Reden zu bringen, und kann sogar den zuständigen Kommissar, der zufällig auch an Hendersons Unschuld glaubt, auf ihre Seite ziehen. 
So unglaubwürdig dieses Setting auch wirkt, so gewinnt der Plot durch Ella Raines‘ („Das Netz“, „Zelle R 17“) engagierte Performance an Unterhaltungswert. Doch selbst ihre herausragende Darstellung würde „Zeuge gesucht“ nur zu einem guten, aber nicht herausragenden Vertreter seines Genres machen, wenn Siodmak und sein Kameramann Elwood Bredell („Schwarzer Freitag“, „Die unsichtbare Frau“) nicht so packende Bilder gefunden und so wunderbare Szenen geschaffen hätten wie das Wechselspiel zwischen Raines und Elisha Cook Jr., als der Drummer ein geradezu ekstatisch gespieltes, sexuell wirkendes Solo hinlegt und Carol ihn auf herausfordernde Weise auch noch anstachelt. Eine unverhohlenere Darstellung von Sex in einem Film noir der 1940er und 1950er Jahre dürfte man vergebens suchen. 

Kommentare

Beliebte Posts