Ausgestoßen

Zwar ist Regisseur Carol Reed (1906-1976) vor allem durch seine Oscar-nominierte Arbeit zum Orson-Welles-Klassiker „Der dritte Mann“ (1949) und die schließlich Oscar-prämierte Produktion von „Oliver!“ (1968) bekannt geworden, aber schon 1947 lieferte er mit „Ausgestoßen“ einen britischen Film noir ab, der seinen US-amerikanischen Vorbildern in nichts nachsteht und heute zurecht als Meisterwerk des Genres betrachtet wird, in dem James Mason eine seiner besten Darsteller-Leistungen abliefert. 

Inhalt: 

Nach dem Ausbruch aus dem Gefängnis hat sich Johnny McQueen (James Mason) für Monate bei Kathleen Sullivan (Kathleen Ryan) und ihrer Großmutter (Kitty Kirwan) versteckt, wo er das Zimmer von Kathleens verstorbenen Vater bewohnt und als Kopf einer nordirischen Widerstandsorganisation mit seinen Freunden einen Banküberfall plant, um mit dem erbeuteten Geld die Familien der inhaftierten Patrioten unterstützen zu können. Nachdem alle Details durchgesprochen worden sind, äußert Dennis (Robert Beatty) allerdings Bedenken, dass Johnny der Aufgabe gewachsen ist, schließlich sei er seit Monaten nicht mehr unter Menschen und an der frischen Luft gewesen. Johnny wischt die Bedenken beiseite, doch tatsächlich wird er schon auf der Fahrt zur Bank von Schwindelanfällen gepeinigt. 
Als nach dem erfolgten Raub die Alarmglocken schrillen und Johnny als letzter den Ort des Verbrechens verlässt, wird er erneut von einem Anfall überwältigt, gerät in ein Handgemenge mit einem Wachmann, der Johnny an der Flucht hindern will, wird von diesem angeschossen und tötet den Mann schließlich, bevor er schwerverletzt das Fluchtauto erreicht. Allerdings verliert er während der Fahrt den Halt, und während seine Freunde darüber diskutieren, ob sie zurückfahren und ihren verletzten Anführer einsammeln sollen, flüchtet Johnny zu Fuß in einen Luftschutzbunker. Währenddessen machen sich nicht nur Johnnys Freunde auf die Suche nach ihm, sondern durchkämmt auch die Polizei unter Führung eines cleveren Inspectors (Denis O’Dea) die ganze Stadt nach dem Verbrecher. 
Nachdem zwei seiner Freunde durch die geschäftstüchtige Rosie (Fay Compton) an die Polizei verraten und vor ihrem Etablissement erschossen worden sind, macht sich die verzweifelte Kathleen auf den Weg zu Pfarrer Tom (W.G. Fay), der bereits Besuch von dem mittellosen Pat (Cyril Cusack) bekommen hat und seine Informationen über Johnnys Aufenthalt gern gegen Bares austauschen möchte. Mittlerweile irrt Johnny ziellos durch die Straßen der nordirischen Metropole und wird von immer mehr Menschen erkannt, die unschlüssig sind, ob sie dem sterbenden Mann helfen oder der Polizei ausliefern sollen … 

Kritik: 

Auch wenn es nicht explizit erwähnt wird und es im Vorspanntext nur einen Verweis auf Nordirland gibt, braucht es nicht viel Phantasie, um einen Zusammenhang zur IRA und Belfast zu knüpfen. In Carol Reeds Adaption von F.L. Greens Roman „Odd Man Out“ spielt die politische Dimension zwar keine große Rolle, bildet aber den wichtigen Hintergrund für die Gewissensentscheidungen der Menschen, die dem flüchtigen IRA-Aktivisten Johnny McQueen begegnen. Reed erweist sich als Meister der dramaturgischen Spannung, lässt den großartigen James Mason („Lolita“, „Der unsichtbare Dritte“) nach dem gescheiterten Überfall durch ein nachtdunkles, verregnetes und dann verschneites Belfast taumeln, wobei dieser erst von seinen Freunden auf der Straße liegengelassen wurde und dann verschiedenen Menschen begegnet, von denen er nicht wissen kann, ob sie ihm helfen oder ihn gegen die ausgesetzten Belohnung von 1000 englischen Pfund an die Polizei der britischen Besatzer ausliefern. 
Immer wieder aufs Neue gerät er an vermeintlich hilfsbereite Menschen, die ihn ärztlich versorgen oder mit einem Drink zu Kräften kommen lassen, bevor sie ihn wieder vor die Tür setzen, damit sie selbst sich keinen Ärger einhandeln. Allein von Johnnys Freundin Kathleen und Pfarrer Tom darf man erwarten, dass sie Johnny bedingungslos helfen wollen, aber die Zeit wird für Johnny durch den anhaltenden Blutverlust immer knapper. Den Wettlauf gegen die Zeit, der letztlich nicht gewonnen werden kann, hat Kameramann Robert Krasker („El Cid“, „Der dritte Mann“) in fesselnden Schwarzweiß-Bildern festgehalten, die die düstere Atmosphäre des nächtlichen Belfast mit wunderbaren Kontrasten, Licht- und Schattenspielen sowie ausdrucksvollen Großaufnahmen einfangen. Gerade die Szenen, in denen der sterbende Johnny halluziniert und vom Maler Lukey (Rober Newton) deshalb als Modell so reizvoll erscheint, weil er in ihm den Blick des Sterbenden einzufangen hofft, sind großartig gelungen. Zusammen mit dem stimmigen Drehbuch, das der Romanautor zusammen mit R.C. Sherriff („Der Unsichtbare“, „So ist das Leben“) verfasst hat, und den tollen Darstellern gehört „Ausgestoßen“ fraglos zu den Meisterwerken des Film noir.  

Kommentare

Beliebte Posts