Boulevard der Dämmerung

Mit „Frau ohne Gewissen“ (1944) und „Das verlorene Wochenende“ (1945) schuf Billy Wilder bereits zwei Klassiker des Film noirs. Seine Meisterschaft stellte der 1906 im heute polnischen Sucha geborene und sechsfach Oscar-prämierte Drehbuchautor, Produzent und Regisseur aber 1950 mit „Boulevard der Dämmerung“ unter Beweis – das sich zudem als gnadenlose Abrechnung mit dem Studiosystem in Hollywood erwies. 

Inhalt: 

Auf der Flucht vor seinen Gläubigern liefert sich der erfolglose Drehbuchautor Joe Gillis (William Holden) eine Verfolgungsjagd durch die Straßen von Los Angeles und kann die Männer, die ihm die Schlüssel zu seinem Wagen, deren Raten er seit Monaten säumig ist, schließlich bei einem heruntergekommenen Anwesen am Sunset Boulevard abschütteln. Wie Gillis bei näherer Betrachtung feststellt, lebt hier die Stummfilm-Diva Norma Desmond (Gloria Swanson) mit ihrem Butler Max von Mayerling (Erich von Stroheim), wo sie an ihrem Comeback als Salomé arbeitet. Als sie erfährt, dass ihr Besucher zwar nicht der erwartete Mann ist, der ihren kürzlich verstorbenen Schimpansen beerdigen soll, sondern Drehbuchautor ist, macht sie ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Er soll ihr umfangreiches Skript, das sie bereits geschrieben hat, so aufpolieren, dass sie es ihrem Lieblingsregisseur Cecil B. DeMille vorlegen kann. 
Tatsächlich versucht Paramount, die Diva anzurufen, doch ist die Desmond so beleidigt, dass DeMille nicht selbst Stellung zu dem Drehbuch nimmt, dass sie sich immer wieder verleugnen lässt. Später stellt sich heraus, dass das Studio nur an ihrem Wagen, einem Isotta Fraschini, zur Miete an einer Filmproduktion interessiert ist. Einem weiteren Irrtum unterliegt Norma Desmond auch bezüglich ihrer Fanpost, die allesamt von ihrem Diener Max geschrieben worden sind. Gillis bezieht zunächst eine Wohnung über der Garage, zieht dann aber in das Schlafzimmer von Desmonds früheren Ehemännern und lebt fortan im Luxus der alternden Schauspielerin, die zunehmend von dem jungen Mann besessen ist. Dafür muss sich Gillis im hauseigenen Kino regelmäßig die Erfolge seiner Hausherrin aus der Stummfilmzeit ebenso über sich ergehen lassen wie langweilige Bridgepartien mit anderen vergessenen Filmstars und kleine Vorführungen und Imitationen, die Gillis beweisen sollen, dass die Schauspielerin nach wie vor eine Meisterin ihrer Kunst ist und dabei ganz auf ihre Mimik bauen kann, für die sie keinen Ton und Dialog zur Unterstützung brauche. Gillis fühlt sich zunehmend eingeengt und genervt von Desmonds herrischem Wesen und trifft auf einer Silvesterparty, die sein alter Freund Artie Green (Jack Webb) veranstaltet, die Produktionsassistentin Betty Schaefer (Nancy Olson) wieder, die einst im Büro eines Produzenten sein vorgelegtes Drehbuch als zu kopflastig kritisierte. Gillis fängt mit ihr an einem gemeinsamen Drehbuch zu arbeiten an und verliebt sich in sie. Als Norma Desmond von der Affäre erfährt und die Augen vor der Tatsache verschließt, dass auch DeMille kein Interesse daran hat, der alternden Diva ihr ersehntes Comeback zu ermöglichen, kommt es zur Katastrophe … 

Kritik:

Es ist Billy Wilders großem Namen, den er sich mit „Frau ohne Gewissen“ und „Das verlorene Wochenende“ erworben hat, zu verdanken, dass ihm Paramount bei der Realisierung von „Boulevard der Dämmerung“ weitestgehend freie Hand ließ. So begannen die Dreharbeiten, als nicht mal ein Drittel des Drehbuchs, der übrigens siebzehnten und letzten Zusammenarbeit zwischen Wilder und Charles Brackett („Niagara“, „Der Untergang der Titanic“), fertiggestellt war. Allein die Tatsache, dass der junge Drehbuchautor eine Affäre mit der viel älteren Stummfilm-Diva unterhält, verstieß schon gegen den guten Geschmack, aber besondere Aufmerksamkeit erhielt der Film natürlich wegen seiner unverhohlenen Kritik an Hollywood und seiner herablassenden Art, Drehbuchautoren und ehemalige Stars zu behandeln, die nicht mehr zum Erfolg eines Studios beitragen können. 
In dieser vermeintlichen „Traumfabrik“ verfällt die gut fünfzigjährige Protagonistin dem Wahnsinn, weil sie sich so sehr nach den goldenen Jahren der Hollywood-Stummfilm-Ära zurücksehnt, dass sie die raue Wirklichkeit mit den veränderten Arbeitsbedingungen einfach nicht wahrhaben will und in sich ihre eigene Welt voller ruhmreicher Erinnerungen zurückzieht. Es ist aber nicht nur die authentische Art und Weise, wie Wilder mit „Boulevard der Dämmerung“ Hollywood den Spiegel entgegenhält und die unter all dem Glanz und Gloria letztlich rein profitorientierte wie entwürdigende Maschinerie entlarvt, die den Film zu einem packenden Meisterwerk machen, sondern natürlich auch die Inszenierung, die bereits mit der Eröffnungsszene Geschichte geschrieben hat. Da treibt nämlich die Leiche von Joe Gillis im Swimming Pool der Filmdiva, und der Geist des Toten erzählt rückblickend, wie es zu diesem Schicksal kam. Minutiös demonstriert Wilder daraufhin, unter welch miserablen Bedingungen Drehbuchautoren ihr Geld verdienen mussten, wie andererseits Stars der vergangenen Stummfilm-Ära in ihren heruntergekommenen Palästen am berühmten Sunset Boulevard von der Öffentlichkeit vergessen vor sich hinvegetieren. 
Der Film spielt fast nur in meist verregneten Nächten, was Wilder und seinen Kameramann John F. Seitz („Frau ohne Gewissen“, „Der jüngste Tag“) zu schönen Low-Key-Bildern und interessanten Spielen mit Licht und Schatten inspirierte. Die Ich-Erzählung aus dem Off und als Rückblende zählt dabei ebenso zu den Stilmitteln des Film noir wie Norma Desmond als Femme fatale und die Verstrickung des Ich-Erzählers in einem Gewirr von Wahnsinn und Leidenschaft. Gloria Swanson („…aber das Fleisch ist schwach“, „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib“), die tatsächlich auf eine beachtliche Stummfilm-Karriere zurückblicken konnte, brilliert als zunehmend dem Wahnsinn verfallene und fast vergessene Filmdiva, die auch durch die obsessive Liebe zu einem viel jüngeren Mann zu glauben scheint, jünger zu wirken, als sie tatsächlich ist. 
Das Drama ist ohne Längen durchweg spannend und überzeugend inszeniert und steuert ungebremst auf den bereits zu Beginn eröffneten Höhepunkt zu. Trotz der offenen Kritik am Studiosystem erhielt „Boulevard der Dämmerung“ elf Oscar-Nominierungen (u.a. für den Besten Film, den Besten Regisseur sowie die Besten Haupt- und Nebendarsteller) und erhielt immerhin in drei Kategorien die begehrte Trophäe (neben dem Besten Drehbuch und der Besten Ausstattung erhielt Franz Waxman einen Oscar für die Beste Musik). Leider inszenierte Wilder anschließend mit „Reporter des Satans“ (1951) nur noch einen Film noir ab und verlegte sich dann verstärkt auf das Komödienfach, wo er mit Filmen wie „Der Glückspilz“, „Avanti, Avanti!“ und „Manche mögen’s heiß“ ebenfalls sehr erfolgreich war.  

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