Schwarzer Engel
Der britische Filmemacher Roy William Neill (1887-1946) hat sich seit seinem Karrierebeginn Mitte der 1910er Jahre vor allem in den 1940er Jahren als langjähriger Regisseur der berühmten Sherlock-Holmes-Filme mit Basil Rathbone und Nigel Bruce („Die Geheimwaffe“, „Gespenster im Schloss“, „Das Spinnennest“, „Juwelenraub“ u.a.) einen Namen gemacht. 1946 schuf er mit seinem letzten Film „Schwarzer Engel“ (deutscher Alternativtitel: „Vergessene Stunde“) einen feinen Film noir nach der Romanvorlage von Cornell Woolrich („Die Braut trug schwarz“, „Das Fenster zum Hof“).
Inhalt:
Als die bekannte Sängerin Marvis Marlowe (Constance Dowling) in ihrem Apartment erdrosselt aufgefunden wird, macht die Polizei schnell Kirk Bennett (John Phillips) als mutmaßlichen Täter dingfest. Er hatte eine Affäre mit ihr und wurde von ihr erpresst, indem sie drohte, Bennetts Frau Catherine (June Vincent) von der Affäre zu erzählen. Am schwersten wiegt jedoch der Umstand, dass er in der Nähe des Tatorts gesehen wurde. Bei der Gerichtsverhandlung brauchen die Geschworenen nicht lange, um Bennett zum Tode zu verurteilen. Obwohl Catherine Bennett von ihrem Mann betrogen wurde, hält sie ihn für unschuldig und versucht alles, um noch Beweise für die Unschuld ihres Mannes zu finden. Ihre einzige Hoffnung gilt letztlich Martin Blair (Dan Duryea), Marlowes verschmähten Ex-Mann, der am Abend ihrer Ermordung vergeblich versucht hatte, zu ihrem Apartment vorzudringen. Catherine hält den alkoholisierten Songwriter und Pianisten zunächst für den einzig möglichen Täter, doch konnte er auch schon der Polizei ein Alibi für die Tatzeit vorlegen.
Fortan suchen Catherine und Blair gemeinsam nach einer roten Brosche, die Blair seiner Frau zum Hochzeitstag überbringen ließ und offensichtlich vom Täter entwendet worden ist. Eine vielversprechende Spur führt in den von Marko (Peter Lorre) geleiteten Nachtclub, wo das schicksalhaft verbundene Paar als Musiker-Duo vorspielt und tatsächlich von Marko engagiert wird. Die attraktive Sängerin schmeichelt sich bei Marko ein und wartet auf den passenden Moment, sich in seinem Büro und vor allem in seinem Safe näher umzusehen. Als Marko von einem Klatschkolumnisten zu einem Schostakowitsch-Konzert eingeladen wird, ergibt sich endlich die Möglichkeit, doch Marko hat schon längst Lunte gerochen und erwischt Catherine auf frischer Tat …
Kritik:
1946 war ein besonders gutes Jahr für den Film noir. Mit Robert Siodmaks „Die Killer“, Charles Vidors „Gilda“, Howard Hawks‘ „Tote schlafen fest“, Tay Garnetts „Im Netz der Leidenschaften“, Alfred Hitchcocks „Berüchtigt“, George Marshalls „Die blaue Dahlie“ und Orson Welles‘ „Die Spur des Fremden“ liefen so viele hochkarätig besetzte und wunderbar inszenierte Genre-Juwelen im Kino an, dass Neills Woolrich-Adaption kaum wahrgenommen wurde. Schließlich konnte die Produktion nicht mit so illustren Namen wie Burt Lancaster, Ingrid Bergman, Ray Milland, Humphrey Bogart oder Edward. G. Robinson aufwarten, sondern versuchte, durchaus populäre Nebendarsteller wie Dan Duryea („Gefährliche Begegnung“, „Ministerium der Angst“) und June Vincent („Das Lied des goldenen Westens“, „The Climax“) in die erste Reihe zu bugsieren.
Auch wenn der Plan nicht ganz aufging und der Autor der Romanvorlage wenig Gefallen an der recht losen Adaption seines Stoffes fand, überzeugt „Schwarzer Engel“ vor allem durch die düstere Atmosphäre, die spielfreudigen Darsteller und die eindrucksvolle Kameraarbeit. Die kommt bereits in der Eröffnungssequenz zum Ausdruck, als Dan Duryeas Figur sehnsüchtig die festungsartige Wand des Apartmenthauses hinaufschaut, wobei die Kamera seinem Blick die Fassade hinauf folgt und dann durch das Fenster in das Mavis Marlowes Apartment dringt.
Was an dem nachfolgenden Plot besonders fasziniert, ist die ungewöhnliche Verbindung zwischen den beiden Betrogenen, zwischen der Frau des zum Tode verurteilten Mannes und des alkoholsüchtigen Witwers, der sich recht schnell in Catherine verliebt, aber nicht bei ihr landen kann. June Vincent verkörpert die betrogene Ehefrau mit ihrem kampflustigen Willen, die Unschuld ihres Mannes zu beweisen, so überzeugend, dass man ihr sogar abnimmt, dass sie für Blairs Werben ganz unempfänglich ist. Die Jagd nach dem wahren Täter ist kurzweilig inszeniert und gewinnt vor allem in den geschickt inszenierten Nachtclub-Szenen an Kraft, was auch an Peter Lorres („M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, „Die Spur des Falken“) grandioser Darstellung als homosexuell angehauchter, zwielichtiger Nachtclubbesitzer liegt. Diese Szenen hat Kameramann Paul Ivano („Unter Verdacht“, „Gefährliche Mission“) ebenso schön eingefangen wie Blairs verschwommene Erinnerungen an den Abend, an dem seine ebenso verführerische wie kaltherzige Frau ermordet wurde.
Dass am Ende alle Beteiligten als Verlierer dastehen und Blairs für Catherine komponiertes Stück „Time Will Tell“ eine ganz persönliche Bedeutung bekommt, macht „Schwarzer Engel“ zu einem nach wie vor sehenswerten Film noir.
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