The Trial of the Chicago 7
Nicht erst mit seinem Oscar-prämierten Drehbuch zu David Finchers Biopic über den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, „The Social Network“ (2010), zählt Aaron Sorkin zur ersten Riege unter Hollywoods Autoren. Schon mit seinen frühen Arbeiten zu dem hochkarätig mit Jack Nicholson und Tom Cruise besetzten Gerichtsdrama „Eine Frage der Ehre“ (1992), Rob Reiners romantischer Komödie „Hallo, Mr. President“ (1995) und als Schöpfer der Polit-Drama-Serie „The West Wing: Im Zentrum der Macht“ (1999-2006) hat Sorkin seine Könnerschaft unter Beweis gestellt, politische Themen dramatisch zu verpacken. Mit seinem neuen Film, der Netflix-Produktion „The Trial of the Chicago 7“, nimmt sich Sorkin den wahren Fall einer Gerichtsverhandlung vor, bei der sich im Jahr 1969 verschiedene Anti-Kriegs-Aktivisten wegen aufrührerischer Tätigkeiten verantworten mussten.
Nach „Molly’s Game“ (2017) übernahm Sorkin dazu auch selbst die Regie.
Rund um den Parteitag der Demokraten, der 1968 in Chicago stattfindet, planen verschiedene Organisationen unabhängig voneinander Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg, zu dem immer mehr Amerikaner eingezogen werden. Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Rennie Davis (Alex Sharp) sind als Mitglieder der Students for a Democratic Society nach Chicago unterwegs, außerdem Mitglieder von MOBE, dem Nationalen Mobilisierungskomitee zur Beendigung des Krieges in Vietnam, die Yippies Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) und Jerry Rubin (Jeremy Strong) von der Youth International Party und Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen) von den Black Panthers sowie Lee Weiner (Noah Robbins), der dort seine eigenen Ideale vertreten möchte.
Doch als die zunächst friedlich ablaufenden Demonstrationen von der Polizei aufgelöst und Ausgangssperren verhängt werden, kommt es zu fünf Tage und Nächte andauernden gewalttätigen Krawallen, bei denen zwischen Tränengas und Schlagstöcken etliche Demonstranten verletzt, sogar Kameras und Filme von Journalisten zerstört werden. Der Stab von Präsident Lyndon B. Johnson sah noch die Polizei in der Verantwortung für diese Unruhen, doch der vom neuen Präsidenten Richard Nixon eingesetzte Justizminister John N. Mitchell (John Doman) strebt einen Prozess gegen die Demonstranten an, womit er den Chefankläger Thomas Foran (J.C. MacKenzie) und dessen jungen Assistenten Richard Schultz (Joseph Gordon-Levitt) beauftragt. Vor allem Schultz sieht keine Anklagegründe, doch steht es nicht zur Diskussion, dass Mitchell mit nichts anderem als einer Verurteilung zufrieden sein würde. Doch der Prozess unter Leitung von Richter Julius Hoffman (Frank Langella) entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit den beiden Bürgerrechtsanwälten William Kunstler (Mark Rylance) und Leonard Weinglass (Ben Shankman) bald zur Farce, die von Protesten von Aktivisten und Kulturschaffenden zur Einstellung des Verfahrens begleitet wird …
Kritik:
Aaron Sorkin hatte bereits 2007 das Drehbuch zu dem Gerichtsprozess gegen die sogenannten „Chicago 7“ geschrieben, doch durch einen Streik der Writers Guild of America im November 2007 wurde das Projekt, bei dem Steven Spielberg für die Regie vorgesehen war, zunächst auf Eis gelegt, dann noch einmal 2018, diesmal aus Budgetgründen. Am Ende übernahm Sorkin selbst die Regie und führte ein vielschichtiges, starkes Ensemble durch einen beispiellosen Gerichtsfall, der erschreckend aktuelle Bezüge aufweist, zieht man dazu den Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 und die Turbulenzen um die Präsidentschaftswahlen in Betracht. Dem Publikum wird sehr schnell klar, dass dieser Prozess mehr eine Demonstration des politischen Klimawechsels als der Gerechtigkeit darstellt. Indem Sorkin auf der einen Seite in nur jeweils kurzen Szenen offenbart, dass die jeweiligen Anführer der verschiedenen Aktivisten-Gruppierungen gar nicht miteinander bekannt gewesen sind, auf der anderen Seite aber die Verbohrtheit sowohl des Justizministers als auch des vorsitzenden Richters entlarvt, sind die Sympathien des Publikums schnell auf Seiten der Angeklagten verteilt. In den Wortgefechten zwischen Angeklagten, Anwälten und Richter zeigt sich Sorkins perfektionierte Kunstfertigkeit für geschliffene Dialoge, dazu setzen gestandene Darsteller wie Frank Langella („Frost/Nixon“, „All Beauty Must Die“), Mark Rylance („Bridge of Spies“, „Dunkirk“) und Michael Keaton („Spotlight“, „Birdman“) ebenso wie die jüngeren Stars Eddie Redmayne („The Danish Girl“, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“) und Sacha Baron Cohen („Borat“, „Brüno“) immer wieder wunderbare Akzente, die dem Drama bei aller Ernsthaftigkeit einen humorvollen Ton verleihen.
Zwar gewinnen die vielen Figuren jeweils kaum an tiefere Konturen, doch ist der Prozess mit all seinen Begleiterscheinungen und Rückblenden so packend inszeniert, dass sich Sorkin einmal mehr in die Reihe der diesjährigen Oscar-Kandidaten einreihen dürfte.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen