Kennwort 777

Inspiriert von dem Wochenschau-Format der Kinoreihe „The March of Time“, die seit Mitte der 1930er Jahre monatlich Filmausschnitte mit Interviews und nachgestellten Szenen zu 20-minütigen Beiträgen präsentierten, machte sich auch der Film noir die Techniken des semidokumentarischen Stils zu eigen. Nach „Das Haus in der 92. Straße“ (1945), „Boomerang“ und „Geheimagent T“ (beide 1947) verwendete auch Meisterregisseur Henry Hathaway („Feind im Dunkel“, „Der Todeskuss“) diese Technik bei seinem aufwühlenden Justiz- und Sozial-Drama „Kennwort 777“

Inhalt: 

In Chicago herrscht 1932 noch immer die Prohibition, im Durchschnitt fällt jeden Tag ein Mensch einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Als eines Tages zwei maskierte Männer in die Flüsterkneipe (Speakeasy) von Wanda Skutnik (Betty Garde) stürmen und einen Streifenpolizisten erschießen, werden Frank Wiecek (Richard Conte) und sein Freund Tomek Zaleska (George Tyne) festgenommen und zu 99 Jahren Gefängnis verurteilt. 11 Jahre später erscheint in der „Chicago Times“ eine Annonce, in der Frank Wieceks Mutter Tillie (Kasia Orzazewski) eine Belohnung von 5000 US-Dollar für den Unschuldsbeweis ihres Sohnes bietet. Chefredakteur Brian Kelly (Lee J. Cobb) setzt den Journalisten P.J. McNeal (James Stewart) auf die Story an, der bei dem Besuch der verzweifelten Dame erfährt, dass sie sich jeden Cent ihrer Arbeit durch das Säubern von Fußböden abgespart hat, bis sie die Belohnung zusammenhatte. 
McNeal macht ihr nicht viel Hoffnung, dass ihr Ansinnen Erfolg hat, doch macht er weiterhin seinen Job und sucht auch den Gefangenen auf. Nach anfänglichen Zweifeln an Wieceks vermeintliche Unschuld macht sich McNeal auf die schwierige Suche nach Beteiligten an dem Gerichtsverfahren, doch der Richter ist mittlerweile verstorben, eine eidesstattliche Erklärung des Gerichtsdieners würde bei einem Berufungsverfahren nicht zugelassen werden. Besonders viel Zeit bringt McNeal mit der Suche nach Wanda Skutnik zu, schließlich ist es allein ihre Aussage gewesen, die Wiecek und Zaleska hinter Gitter gebracht hat. Doch die Zeugin scheint spurlos verschwunden zu sein … 

Kritik:

Die ersten semidokumentarisch inszenierten Film noirs thematisierten vor allem polizeiliche Ermittlungsarbeit. „Kennwort 777“ darf dagegen als früher Vorläufer von journalistischen Enthüllungs-Dramen wie „Die Unbestechlichen“ und „Spotlight“ angesehen werden, wobei Hathaway geschickt mit den filmischen Mitteln des Noirs arbeitet, ungewöhnliche Perspektiven und Schattenspiele verwendet, um die aussichtslose Lage der Protagonisten zu schildern. Bereits die Ankündigung, dass es sich bei der Geschichte um einen wahren Fall handelt, der wenn möglich vor authentischen Kulissen gefilmt worden ist, bereitet den Zuschauer auf den semidokumentarischen Stil des Films vor. 
McNeal erscheint zunächst als typisch zynischer Journalist, der eben das schreiben soll, was coole Schlagzeilen und damit hohe Auflagen verspricht. Erst durch seine empathische Frau Laura (Helen Walker), mit der er gelegentlich Puzzle legt, bekommt er einen emotionalen Zugang zur Story. Damit verschiebt Regisseur Hathaway auch den Fokus zum Schicksal der Wiecek-Familie, thematisiert die Entbehrungen, die Wieceks Mutter über all die Jahre in Kauf genommen hat, um die Belohnung zusammenzusparen, dann die Aufopferung des Gefangenen, der seine Frau Helen (Joanne De Bergh) angetrieben hat, die Scheidung einzureichen, damit ihr gemeinsamer Sohn auf nichts verzichten muss. Überhaupt scheint auch der Gefängnisdirektor davon überzeugt zu sein, dass Wiecek zu den wenigen Gefangenen zählt, die tatsächlich unschuldig sind. 
So wie McNeal sich immer mehr in die Geschichte und ihre Hintergründe verbeißt, desto vehementer versucht die Staatsanwaltschaft ein Berufungsverfahren zu verhindern. Hathaway lässt den Eindruck erwecken, dass Chicago voller korrupter Polizisten, fauler Justizbeamte und egoistischer Kleinkriminelle sei, die nicht an der Aufdeckung der Wahrheit, sondern nur ihre eigenen Interessen wahren wollen. Am Ende sind es dann die technischen Errungenschaften wie Lügendetektor und Fotografie, die McNeals Ermittlungen voranbringen. Das ist bei aller Faktentreue packend erzählt und fotografiert, aber auch den großartigen Darstellern James Stewart, Lee J. Cobb und Richard Conte gebührt Anerkennung.  

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