Pig
Die Schauspielkarriere von Francis Ford Coppolas Neffen Nicolas Cage ist ein einziges Auf und Ab. Neben eindrucksvollen Darstellungen in David Lynchs „Wild at Heart“, Mike Figgis‘ „Leaving Las Vegas“, Martin Scorseses „Bringing Out the Dead“ und David Gordon Greens „Joe – Die Rache ist sein“ stehen gerade in den letzten Jahren immer häufiger grottenschlechte Produktionen, die Cage wohl eher des schnöden Geldes als der interessanten Rolle wegen abgedreht hat. Doch mit dem Langfilm-Regiedebüt „Pig“ von Michael Sarnoski beweist Cage einmal mehr, dass er nach wie vor zu den besten Darstellern seiner Generation zählt.
Seit Robin „Rob“ Feld (Nicolas Cage) der Stadt Portland vor über zehn Jahren den Rücken gekehrt hat, lebt er abgeschieden in einer einfachen Holzhütte in den Wäldern, wo ihm sein Trüffelschwein Apple die einzige Gesellschaft ist. Einzig der Trüffelhändler Amir (Alex Wolff) stattet dem Einsiedler einmal wöchentlich einen Besuch in seinem gelben Sportwagen ab, um die frischen Trüffel gegen lebensnotwendige Lebensmittel einzutauschen. Die Kommunikation beschränkt der wortkarge Rob dabei auf das Notwendigste. Sein Alltag gerät allerdings völlig aus den Fugen, als Rob eines Nachts von Junkies überfallen und niedergeschlagen wird. In ihrem grünen Pick-up entführen die Täter das Trüffelschwein. Am nächsten Morgen macht sich Rob – nachdem sein selten genutzter Pick-up den Geist aufgegeben hat – zu Fuß aus Oregons Wildnis auf den Weg in die Stadt und ruft vom ersten Diner am Stadtrand Amir an, der sich mit dem völlig verlotterten Einsiedler auf eine abenteuerliche Odyssee durch die Haute Cuisine von Portland macht, um sein Trüffelschwein wiederzufinden. Das zwingt allerdings auch Amir, mehr Kontakt mit seinem Vater (Adam Arkin) aufzunehmen, als ihm lieb ist …
Kritik:
Wenn jemanden ein geliebter Mensch oder auch geliebtes Tier gewaltsam genommen wird, greifen Hollywoods Action-Helden gern zu drastischen Methoden, wie sie Thomas Jane in „The Punisher“, Keanu Reeves in der „John Wick“-Trilogie oder Liam Neeson in der „96 Hours“-Trilogie so erfolgreich auf der Leinwand präsentiert haben. Sarnoskis Drehbuch- und Regiedebüt „Pig“ hat mit den brutalen Rachefeldzügen nach dem biblischen Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ allerdings nichts am Hut.
Ungewöhnlich stellt sich hier schon die Ausgangssituation dar. Sarnoski umreißt in wenigen Bildern Robs Lebenswelt, die Holzhütte im Wald in der Nähe des Flusses, die tägliche Suche mit Apple nach den wertvollen Trüffeln, die Nahrungsaufnahme, das Schlafengehen und die kurzen Interaktionen mit Amir. Die Geschichte nimmt dann recht schnell an Fahrt auf, als Rob überfallen und das Trüffelschwein entführt wird. Hat man Rob zu Beginn als wortkargen und misanthropischen Aussteiger kennengelernt, ist man schnell überrascht, wie sicher er sich in seiner alten Stadt zu bewegen versteht und welche Personen und Lokalitäten er aufsuchen muss, um an das Ziel seiner Suche zu gelangen. Der Zuschauer schlüpft dabei fast in die Rolle von Robs Chauffeur Amir, ist ebenso überrascht über die Kontakte, die Rob besitzt. Stück für Stück entfaltet sich für den Zuschauer wie für den verblüfften Amir, wie Rob vor seiner Flucht in den Wald sein Leben gestaltet hat.
Interessant hat Sarnoski vor allem die Begegnungen mit den Menschen inszeniert, die Rob bei der Suche nach Apple behilflich sein könnten. Während Figuren wie John Wick, Bryan Mills, der Transporter oder der Equalizer die Konfrontation über die Gewalt suchen, um an ihr jeweiliges Ziel zu gelangen, setzt Rob bei seinen Gesprächspartnern Erinnerungen frei, mit deren Auseinandersetzung so tiefe Gefühle ausgelöst werden, dass sie trotz ihres harten Kerns, den sie in der Öffentlichkeit präsentieren, gar nicht anders können, als Rob bei seinem Unterfangen zu unterstützen. Statt der „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Attitüde verfolgt Rob die entgegengesetzte, ebenfalls biblische Geste, auch die andere Wange hinzuhalten, wenn man geschlagen worden ist.
Eine so ungewöhnliche wie berührende Geschichte kann aber nur funktionieren, wenn sie von dem passenden Darsteller erzählt wird, und hier präsentiert sich Nicolas Cage als die Idealbesetzung. Auch wenn nicht alle Facetten seines früheren Lebens offenbart werden, bekommt das Publikum ebenso wie Amir genug mit, um am Ball bleiben zu wollen. Cage trägt genau das richtige Maß an Traurigkeit und Einfühlungsvermögen zur Schau, um sowohl seine Gesprächspartner als auch die Zuschauer für sich einzunehmen. Mit seinem verlotterten Outfit, den strähnigen Haaren und dem traurigen Blick stellt sich Rob als ein Mann dar, der mit dem puren Gewinnstreben, das die Natur des jeweiligen Menschen verleugnet, nichts mehr zu tun haben will.
Insofern ist „Pig“ ein rührender, tiefsinniger Film über die Reise eines Mannes zu sich selbst, wobei der Suchende nur dann Erfolg haben kann, wenn er sich seiner Gefühle bewusst ist. Die starke Performance von Nicolas Cage, die ruhige Inszenierung, die eindringlichen Bilder und die minimalistische musikalische Untermalung machen „Pig“ zu einem der schönsten Filme des vergangenen Jahres.
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