Blinde Wut

Nachdem der in Wien geborene Fritz Lang seit den 1920er Jahren für Meisterwerke wie „Dr. Mabuse, der Spieler“, „Metropolis“, „M: Eine Stadt sucht einen Mörder“ und „Das Testament des Dr. Mabuse“ verantwortlich gewesen ist, flüchtete er vor den Nazis zunächst nach Paris, um dann in den USA zu einem der wichtigsten Vertreter der Film-noir-Gattung zu werden. Gleich mit seinem US-Debüt „Blinde Wut“ (1936) schuf er ein Genre-Juwel, auf das noch weitere Beiträge wie „Gehetzt“, „Du und ich“, „Auch Henker sterben“, „Ministerium der Angst“, „Gefährliche Begegnung“, „Das Todeshaus am Fluss“ und „Jenseits allen Zweifels“ folgten. 

Inhalt:

Nichts wünschen sich Katherine Grant (Sylvia Sidney) und Joe Wilson (Spencer Tracy) mehr, als endlich heiraten zu können, doch noch fehlt es an dem nötigen Startkapital. Während Katherine eine Stellung als Lehrerin in Illinois annimmt, schuftet sich Joe zunächst noch in einer Fabrik in Chicago ab, wo er mit seinen beiden Brüdern Charlie (Frank Albertson) und Tom (George Walcott) gemeinsam in einer Wohnung lebt, dann legen sie alle ihre Ersparnisse zusammen und machen sich mit einer Tankstelle selbständig. Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, dass Joe mit seinem eigenen Auto zu seiner geliebten Katherine fahren kann, um sie zu heiraten. Doch auf dem langen Weg zu ihr, auf dem er unterwegs sogar über Nacht ein Zelt aufschlagen musste, wird er auf der Straße nach Strand von Hilfssheriff „Bugs“ Meyers (Walter Brennan) angehalten und zur Aufnahme seiner Aussage zur örtlichen Polizeistation gebracht. 
Während der Vernehmung durch den Sheriff (Edward Ellis) erfährt Joe, dass er verdächtigt wird, an der Entführung eines Mädchens beteiligt gewesen zu sein. Zwar wird in seinem Wagen nicht das erwartete Lösegeld gefunden, aber der Fünf-Dollar-Schein in seinem Besitz passt zu den registrierten Scheinen des Lösegelds. Außerdem wurden am Tatort Spuren von gesalzenen Erdnüssen gefunden, von denen Joe eine Tüte in seiner Manteltasche mit sich trägt. Bis zur Anklageerhebung wird Joe ins Gefängnis gebracht, während Katherine an einem Schnellimbiss in Washington auf ihren Verlobten wartet. In Strand verbreitet sich die Nachricht, dass der mutmaßliche Entführer des Peabody-Mädchens gefasst worden ist, wie ein Lauffeuer, und es dauert nicht lange, bis sich um den von der Fürsorge lebenden Rädelsführer Kirby Dawson (Bruce Cabot) eine Meute zusammenfindet, die Joe Wilson lynchen will. Gouverneur Burt (John C. Hickman) ist schon dabei, die Nationalgarde nach Strand zu schicken, doch halten ihn politische Erwägungen schließlich davon ab – mit fatalen Folgen! Denn die Gesetzeshüter in der Kleinstadt können gegen den rasenden Mob auch mit Tränengasgranaten wenig ausrichten. 
Die Bürger von Strand stürmen die Polizeistation und das Gefängnis, setzen beides in Brand und verhindern sogar, dass die Feuerwehr den Brand löscht. Mittlerweile hat auch Katherine vom Schicksal ihres Verlobten erfahren und muss mitansehen, wie ihr geliebter Joe in den Flammen umzukommen droht. Kurz nach dem verheerenden Feuer werden die tatsächlichen Kidnapper gefasst, von Joe fehlt jedoch jede Spur. Nichtsdestotrotz wird gegen 22 Bürger von Strand ein Verfahren wegen Mordes eröffnet … 

Kritik: 

Nach einer Geschichte von Norman Krasna („Liebe im Handumdrehen“, „Seine Sekretärin“) hat Fritz Lang zusammen mit Bartlett Cormack ein Drehbuch verfasst, das das erschreckende Phänomen der Lynchjustiz auf höchst eindringliche Weise thematisiert. Während der Zuschauer von Beginn an davon überzeugt sein muss, dass der gutmütige Joe Wilson nichts mit der Kindesentführung zu tun haben kann, gelingt es Fritz Lang in wenigen aufschlussreichen Szenen zu illustrieren, wie die Nachricht von seiner Festnahme wie ein Lauffeuer verbreitet und aus dem bloßen Verdacht eine unumstößliche Tatsache wird. 
Als Außenstehender bekommt man schnell das Gefühl, dass die Bürger in Strand weniger aus Sorge um das Kindeswohl an einer schnellen Verurteilung des Inhaftierten interessiert sind als aus purer Langeweile den erstbesten Verdächtigen für seine mutmaßliche Tat bestrafen wollen. Ebenso schnell wie sich die Nachricht von Joes Inhaftierung in der Stadt verbreitet hat, rottet sich auch die gesichtslose Menge zusammen, unter denen jedoch einige für den Prozess identifiziert werden können. 
Nachdem die erste Filmhälfte das unglückselige Schicksal von Joe Wilson und die Zusammenrottung des Mobs thematisiert hat, dreht sich in der zweiten Hälfte alles um den Prozess, der aufzeigt, wie die Angeklagten zunächst davon profitieren, wie sie sich und ihre Freunde und Familien gegenseitig schützen, indem niemand zugibt, Teil dieses Mobs gewesen zu sein oder die Erstürmung des Polizeireviers und Gefängnis beobachtet zu haben. Stattdessen verleihen sie den Angeklagten sogar falsche Alibis. 
Lang entlarvt die feige, gewalttätige Massenhysterie auf schonungslose Weise und findet dafür auch immer wieder beeindruckende Bilder, vor allem in den Nahaufnahmen der letztlich eindeutig identifizierten Täter. Leider wird die kompromisslose Verurteilung von Lynchjustiz durch das aufgesetzte, durch das Studio bestimmte Happy End stark abgeschwächt, doch „Blinde Wut“ ebnete dem begnadeten Filmemacher trotzdem den Weg zu weiteren herausragenden Filmen in Hollywood. Spencer Tracy („Stadt in Angst“, „Wer den Wind sät“) überzeugt dabei ebenso wie Sylvia Sidney („Gehetzt“, „Sabotage“) in diesem durchweg packenden Justiz- und Gesellschaftsdrama, das vom viermaligen Oscar-Gewinner Joseph Ruttenberg („Die Nacht vor der Hochzeit“, „Das Haus der Lady Alquist“) wunderbar fotografiert worden ist. 

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