Zeugin der Anklage
Bereits in seiner bemerkenswerten Film-noir-Phase hat sich Drehbuchautor und Regisseur Billy Wilder mit Meisterwerken wie „Frau ohne Gewissen“ (1944), „Das verlorene Wochenende“ (1945), „Boulevard der Dämmerung“ (1950) und „Reporter des Satans“ (1951) mit den menschlichen Abgründen auseinandergesetzt. Bevor er sich nach leichteren Filmstoffen wie „Sabrina“ (1954), „Das verflixte 7. Jahr“ (1955) und „Ariane – Liebe am Nachmittag“ (1957) ausschließlich dem komödiantischen Genre widmen sollte, inszenierte Wilder 1957 mit „Zeugin der Anklage“ das 1953 entstandene Theaterstück der Krimi-Autorin Agatha Christie und schuf einen Klassiker des Gerichts-Films, der für immerhin sechs Oscars nominiert wurde.
Der ebenso prominente wie spitzfindige Londoner Strafverteidiger Sir Wilfrid Robarts (Charles Laughton) kehrt nach einer überstandenen Herzattacke in Begleitung der gestrengen Krankenschwester Plimsoll (Elsa Lanchester) gerade wieder nach Hause zurück, als ihn sein Kollege Mayhew (Henry Daniell) mit seinem Mandanten Leonard Vole (Tyrone Power) aufsucht. Der nach seinem Aufenthalt in Deutschland glück- und mittellose Kriegsheimkehrer soll die reiche Witwe Mrs. French (Norma Varden) in ihrer Wohnung erschlagen haben. Zwar habe er Mrs. French am fraglichen Abend besucht, doch für die Tatzeit könnte seine Frau Christine (Marlene Dietrich) ihm ein Alibi geben. Allerdings scheint sie die einzige Zeugin zu sein, denn niemand sonst meldet sich, den Angeklagten auf dem Heimweg von Mrs. French zu seiner Frau gesehen zu haben.
Für Sir Roberts stellt Voles Frau aber die denkbar ungünstigste Zeugin dar, denn sie würde ihrem geliebten Mann wohl auf jeden Fall ein Alibi geben und wäre für die Geschworenen längst nicht so glaubwürdig wie unvoreingenommene Zeugen, weshalb der erfahrene Strafverteidiger sie gar nicht erst in den Zeugenstand rufen würde. Allerdings überrascht ihn die Frau seines Mandanten durch ihr extrem gefasstes Auftreten angesichts der beängstigenden Situation, in der sich ihr Mann befindet. Die verschlimmert sich auch noch, als publik wird, dass Mrs. French dem Angeklagten 80.000 britische Pfund in ihrem geänderten Testament vermacht hat, womit Vole ein bestechendes Mordmotiv gehabt hätte.
Als es für den so liebenswert erscheinenden und Mitleid erregenden Angeklagten eigentlich nicht mehr schlimmer werden könnte, wird Christine von der Anklage in den Zeugenstand gerufen, wo sie nicht nur zugibt, ihrem Mann ein falsches Alibi gegeben zu haben, sondern auch – im Gegensatz zur Beteuerung ihres Mannes - noch konstatiert, dass er von dem Testament wusste. Sir Roberts betont in seiner Befragung der Zeugin, wie oft sie bereits im Vorfeld der Verhandlung gelogen habe, ja dass sie sogar ihren Mann angelogen und ihm verschwiegen habe, dass sie bereits verheiratet war, als er sie heiratete und aus Deutschland mit nach England nahm. Als auch noch Briefe von Christine an einen anderen Mann auftauchen, scheint Christines letzter Funken an Glaubwürdigkeit erloschen zu sein …
Kritik:
Mit Agatha Christies „Witness for the Prosecution” ist Billy Wilder ein von Beginn an fesselndes Justiz- und Gerichtsdrama gelungen, das vor allem von der sehr dynamisch gestalteten Dreierkonstellation zwischen dem kränkelnden, aber genialen Strafverteidiger, dem sympathischen Angeklagten und der unterkühlt berechnenden Ehefrau lebt. Charles Laughton („Spartacus“, „Meuterei auf der Bounty“), der für Billy Wilder der größte Schauspieler gewesen ist, reißt vom ersten Auftritt an die Aufmerksamkeit des Publikums ganz an sich. Wie er laut polternd und herrisch nach Hause zurückkehrt und über jegliche gut gemeinte Zurechtweisung seiner Pflegeschwester hinwegfegt, ist einfach wundervoll gespielt. Mit seinem Monokel-Test versucht er bei seinen Mandanten und Zeugen herauszufinden, ob sie die Wahrheit sagen, wenn er sich selbst unsicher ist, doch lässt dieser Fall mehr an seinem Urteilsvermögen zweifeln, als er es in seiner langjährigen Karriere erlebt haben dürfte.
Auf der anderen Seite etabliert Wilder mit dem von Tyrone Power („Die schwarze Rose“, „Zwei in der Falle“) gespielten Sympathieträger Leonard Vole und seiner Frau zwei Figuren, die gegensätzlich nicht sein könnten. Wilder manifestiert die Sympathie- und Antipathie-Werte des Ehepaars so überzeugend, dass das Publikum nur Mitleid mit dem offenbar zu Unrecht angeklagten Mann bekommen kann, der doch offenbar nur nett zu der einsamen Mrs. Finch sein wollte.
Es ist das bei Wilder beliebte Thema der Täuschung und das Spiel mit den Erwartungen des Publikums, das „Zeugin der Anklage“ so packend macht. Dabei mischt der für sein komödiantisches Talent berühmte Filmemacher auch immer wieder köstlich komische Szenen in die Handlung, vor allem wenn Sir Roberts die nicht von seiner Seite weichende, überaus wachsame und von Laughtons Ehefrau Elsa Lanchester wunderbar gespielte Miss Plimsoll auszutricksen versucht, indem er verbotene Zigarren in seinem Spazierstock versteckt oder Cognac in seine Teekanne zum Runterspülen seiner Medizin gefüllt hat. Die Mischung aus wendungsreichem Gerichtsdrama und komödiantischen Elementen tragen ebenso zum Gelingen des Dramas bei wie Billy Wilders souveräne Inszenierungskunst und das wunderbare Ensemble.
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