Die letzte Versuchung Christi

Martin Scorsese, der seit dem Umzug seiner Familie nach Little Italy in den 1950er Jahren mit der Kirche in Berührung kam und sogar Priester werden wollte, plante schon seit den 1960er Jahren, die Lebensgeschichte Jesu Christi zu verfilmen, doch zog sich diese Umsetzung noch mehr als zwei Jahrzehnte hin. Unter schwierigsten Voraussetzungen und gegen die Proteste der Kirche verfilmte Scorsese 1988 schließlich den umstrittenen Bestseller „Die letzte Versuchung“ von Nikos Kazantzakis, der sich weniger auf den Jesus stützt, wie ihn die Evangelien der Bibel zeichnen, sondern vor allem das Ringen des Zimmermanns zwischen seiner menschlichen und göttlichen Natur in den Vordergrund stellt. 

Inhalt: 

Als Zimmermann baut Jesus (Willem Dafoe) Kreuze, die die römischen Besatzer für die Hinrichtungen ihrer Widersacher verwenden, er schleppt sie sogar selbst zur Schädelstätte. Er setzt sich aber intensiv mit seinem Glauben, dem Sinn seines Daseins auseinander, folgt dem göttlichen Auftrag und fängt an, Jünger um sich zu scharen, seinen engsten wie kritischsten Vertrauten Judas (Harvey Keitel) und Johannes den Täufer (Michael Been), der in Jesus den prophezeiten Messias erkennt. Doch das Volk ist für diesen Messias nicht bereit, greift ihn und seine Jünger immer wieder an. Doch Jesus lässt sich nicht beirren, schreitet bei Ungerechtigkeiten ein und rettet so die Hure Maria Magdalena (Barbara Hershey) vor der Steinigung. Fast nebenbei wirkt er Wunder, verwandelt auf einer Hochzeit Wasser in Wein, erweckt den toten Lazarus (Tomas Arana) wieder zum Leben, nur damit dieser wenig später von Saulus (Harry Dean Stanton) erstochen wird. 
Als sich Jesus zum Fasten in die Wüste zurückzieht, hört er zwar die Stimme Gottes, wird aber auch von Satan in Versuchung gebracht, zunächst in Gestalt einer Schlange, die ihm rät, eine Familie zu gründen, dann in Gestalt eines Löwen, der Jesus dazu drängt, die Macht zu ergreifen und den Thron zu besteigen, bis ihm schließlich Johannes der Täufer erscheint und Jesus auffordert, Gottes Botschaft zu den Menschen zu bringen. Tatsächlich hat sich die Wahrnehmung der Menschen von Jesus gewandelt. Als er auf einem Esel reitend und von seinen Jüngern begleitet nach Jerusalem zurückkehrt, erkennen die Menschen ihn als ihren Erretter. Jesus vertreibt die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel, zieht sich den Zorn der Priesterschaft zu und erkennt schließlich, dass er erst am Kreuz sterben muss, bevor die Menschen erlöst werden können. Judas kommt die unrühmliche Rolle des Verräters zu. 
Als Jesus mit seinen Jüngern zum letzten Abendmahl versammelt, führt Judas die römischen Soldaten zum Garten Gethsemane, wo Jesus festgenommen, dann im Gewahrsam der Römer geschlagen und gefoltert wird. Pontius Pilatus (David Bowie) kann Jesus nicht dazu überreden, seinem göttlichen Auftrag abzuschwören, also wird Jesus auf Golgota ans Kreuz genagelt, wo ihm nach Tagen der Schmerzen ein junges Mädchen erscheint, das sich als sein Schutzengel vorstellt und ihm mitteilt, dass er genug gelitten habe und nicht mehr geopfert werden müsse. Sie bringt Jesus zu Maria (Randy Dawson), Lazarus‘ Schwester, und beginnt wieder, ein ganz normales Leben als Zimmermann und Familienvater zu leben, doch dies erweist sich nur als weitere von Satans Versuchungen, der sich Jesus widersetzen muss, um sein von Gott auferlegtes Schicksal zu erfüllen … 

Kritik: 

Es war Pier Paolo Pasolinis Bibelfilm „Das 1. Evangelium – Matthäus“ (1964), der Scorsese zunächst davon abbrachte, seine Idee, die Christus-Legende in den Straßen der Bronx zum Leben erwecken zu lassen, auch umzusetzen, aber als Barbara Hershey, mit der Scorsese 1972 „Die Faust der Rebellen“ realisierte, ihm Kazantzakis‘ Buch zu lesen gegeben hatte, nahm das Projekt wieder an Fahrt auf. Doch nachdem Paramount 1983 bereits ein Budget von 14 Millionen Dollar in Aussicht gestellt hatte, übten fundamentalistische religiöse Gruppen soviel Druck aus, dass Scorsese schließlich zu Universal wechseln musste, die ihm allerdings nur fast die Hälfte des Budgets zur Verfügung stellen wollten. 
Scorsese folgt in „Die letzte Versuchung Christi“ ganz der Vorlage des Buches, wobei er Paul Schrader, mit dem er bereits erfolgreich bei „Taxi Driver“ und „Wie ein wilder Stier“ zusammengearbeitet hatte, den Roman auf ein Filmskript für ein 154 Minuten langes Drama zurechtstutzte. Es ist ein zutiefst menschlicher Jesus, der uns hier präsentiert wird, ein einfacher Handwerker, der ganz menschliche Bedürfnisse verspürt, aber auch den göttlichen Auftrag verspürt, der ihn immer wieder mit Zweifeln und Skepsis erfüllt. Sein Glaube und seine göttliche Berufung sind aber letztlich stark genug, sich nicht auf eine Beziehung mit Maria Magdalena einzulassen. Er geißelt sich sogar selbst, als er in Gesellschaft anderer Männer verfolgt, wie die Hure ihre Liebhaber nacheinander in ihrem Bett abfertigt. 
Auch wenn sich der Plot grob an den in den Evangelien geschilderten Episoden orientiert, in denen Jesu Leidensweg beschrieben wird, wirkt Scorseses Film seltsam uneinheitlich, springt immer wieder zwischen vertraut wirkenden Episoden hin und her, ebenso zwischen der tiefen Ehrfurcht vor Gottes Willen und den oft schwer als solche zu identifizierenden Versuchungen durch Satan, die letztlich nur allzu menschliche Bedürfnisse und deren Befriedigung versprechen. Dass dieses Bild von Jesus bei vielen Gläubigen sauer aufstößt, kann nicht verwundern, aber Scorsese gelingt es auf der anderen Seite, mit seinem Film und seiner Interpretation der Geschichte von Jesus von Nazareth den Zweifel eines jeden Gläubigen zu thematisieren. Das wird vor allem von Willem Dafoe („Leben und sterben in L.A.“, „Antichrist“) und Harvey Keitel („Das Piano“, „Bad Lieutenant“) überzeugend gespielt, von Kameramann Michael Ballhaus glänzend fotografiert und vor allem von Peter Gabriel großartig musikalisch untermalt.  

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