Die Lady von Shanghai
Orson Welles, der im Alter von gerade mal 26 Jahren mit seinem Regiedebüt „Citizen Kane“ ein strahlender Stern am Himmel von Hollywood wurde, fiel mit seinen nachfolgenden Produktionen zunehmend in Ungnade bei den Studios, lieferte aber zumindest mit „Von Agenten gejagt“ (1943) und „Die Spur des Fremden“ (1946) bereits bemerkenswerte Beiträge zum Film-noir-Genre. Seine Meisterschaft in diesen Gefilden demonstrierte er allerdings dann mit „Die Lady von Shanghai“ – auch wenn er hier wie in den vorgenannten Beispielen in den Credits nicht als Regisseur aufgeführt wurde.
Der irische Matrose Michael O’Hara (Orson Welles) schlendert gerade durch die nächtlichen Straßen in New York, als ihm eine wunderschöne Frau auffällt, die in einer Kutsche an ihm vorbeifährt. O’Hara bietet der unbekannten Schönheit seine letzte Zigarette an, die sie in ihre Handtasche steckt, dann trennen sich ihre Wege. Wenige Momente später bekommt er mit, wie die Kutsche von drei Halbwüchsigen im Central Park überfallen wird. O’Hara schlägt die Jungen in die Luft, während der Kutscher bereits das Weite gesucht hat, dann bringt er sie in der Kutsche zum Parkhaus, wo er erfährt, dass sie Elsa Bannister (Rita Hayworth) heißt und die Frau des berühmten und reichen, allerdings auch an Krücken gehenden Strafverteidigers Arthur Bannister (Everett Sloane) ist. Der sucht O’Hara auf, um ihn als Steuermann für seine Luxusyacht Circe zu engagieren.
Der „schwarze Ire“, wie O’Hara gewöhnlich genannt wird, nimmt den Job an, obwohl er kein gutes Gefühl in der Sache hat, aber da hat ihm die schöne Elsa bereits längst die Sinne vernebelt. Als die Yacht zunächst in Richtung San Francisco in See sticht, sind auch Bannisters Partner George Grisby (Glenn Anders), der Steward Sidney Broome (Ted de Corsia) und die schwarze Köchin Bessie (Evelyn Ellis) an Bord. Während Grisby Bannister darauf aufmerksam macht, wie O’Hara Elsa umgarnt, gibt ihm Bannister zu verstehen, dass es ihm egal sei, doch in Mexiko lässt der eifersüchtige Anwalt das Paar durch den Steward beobachten. Die Liebe zwischen O’Hara und Elsa Bannister scheint ohnehin keine Chance zu haben, doch dann bietet Grisby O’Hara 5000 Dollar dafür, dass er ihn scheinbar umbringt und ein entsprechendes Geständnis unterschreibt, während Grisby selbst auf einer kleinen Insel untertaucht. Da O’Hara ohne Leiche kein Prozess gemacht werden könne, würden beide von diesem Arrangement profitieren: O’Hara könnte mit Elsa ein neues Leben beginnen, Grisby seine Frau loswerden und wieder frei sein. Doch dann wird Grisbys Leiche gefunden und O’Haras Geständnis entdeckt. Vor Gericht wird O’Hara ausgerechnet durch Bannister vertreten …
Kritik:
„Die Lady von Shanghai“ erging es wie Orson Welles‘ früheren Werken und wurde durch das Studio gnadenlos gekürzt, von 150 Minuten auf nicht mal 90, dazu drehte Rudolf Maté einige Szenen nach, so dass das verstümmelte Werk zwar in Europa gefeiert wurde, in den USA aber bei Kritik und Publikum durchfiel. Dabei bietet der Film, der auf der Sherwood Kings Roman „If I Die Before I Wake“ beruht, all die Elemente eines klassischen Film noir, vor allem die Konstellation einer Frau zwischen zwei, ja sogar drei Männern, dazu der Voice-over und die Erzählung als Rückblende.
Rita Hayworth („Gilda“), zur Zeit der Dreharbeiten noch Welles‘ Ehefrau, zieht mit ihren wasserstoffblondierten Haaren und ihrem schimmernden Schmollmund in ihren Bikinis und Badeanzügen nicht nur die Aufmerksamkeit von O’Hara, sondern in den grandiosen Nahaufnahmen auch die des Publikums gefangen. Orson Welles überzeugt in seiner Rolle des an sich besonnenen Matrosen, der sich eigentlich selbst genug ist und von der Hand in den Mund lebt, durch die Bekanntschaft mit der atemberaubend schönen Elsa aber in einen Strudel von Mord, Intrigen und Verrat gerät, dem er nicht entrinnen kann.
Besonders eindrucksvoll kommt diese fatale Konstellation in dem Spiegelkabinett im Vergnügungspark von Whitney’s Playland zum Ausdruck, als sich die Bannisters und O’Hara in einer tödlichen Konfrontation gegenüberstehen. Hier werden in den Spiegeln die Eitelkeit, Intrigen und kriminellen Machenschaften ebenso offenbart wie zerstört. Dazu passt auch die von O’Hara eindrucksvoll kolportierte Geschichte von den Haien, die sich im Blutrausch alle miteinander gegenseitig auffressen. Der Plot steckt voller symbolträchtiger Bilder und Handlungsstränge mit mythologischen Verweisen, mit denen Welles so souverän umgeht, dass sein Film mit dem geheimnisvollen Titel wie eine muntere und verspielte Übung mit den Ingredienzien des Film noir wirkt.
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