Fedora
In über dreißig Jahren als Regisseur hat Billy Wilder wegweisende Film-noir-Werke wie „Frau ohne Gewissen“, „Das verlorene Wochenende“, „Boulevard der Dämmerung“ und „Reporter des Satans“ sowie unvergessliche Komödien-Klassiker wie „Sabrina“, „Manche mögen’s heiß“, „Das Appartement“, „Küss mich, Dummkopf“, „Der Glückspilz“ und „Extrablatt“ inszeniert. 1978 präsentierte er mit „Fedora“ seinen vorletzten Film und eine Art Pendant zu seinem Klassiker „Boulevard der Dämmerung“ (1950) – eine weitere bittere Abrechnung mit der Traumfabrik Hollywood.
Millionen von Filmfans trauern um den großen Hollywood-Star Fedora (Marthe Keller). Die alternde Diva hat sich vor einen Zug geworfen, ihr mühsam zurechtgemachter Leichnam wird nun für die Öffentlichkeit einige Tage aufgebahrt. Auch der unabhängige Filmproduzent Barry „Dutch“ Detweiler (William Holden) reist nach Griechenland, um Fedora die letzte Ehre zu erweisen. Dabei ist es erst zwei Wochen her, dass er mit einem Drehbuch zu „Anna Karenina“ nach Korfu geflogen ist, um die zurückgezogen in ihrer Villa Kalypsu auf einer kleinen Insel bei Korfu zu einem Comeback zu bewegen. Zwar bringt ihn ein Schwager seines Hoteliers (Mario Adorf) mit einem Boot zur Villa, doch wird die ungefähr 67 Jahre alte Filmdiva von ihrem Chauffeur (Gottfried John), der resoluten Krankenschwester Miss Balfour (Frances Sternhagen), der im Rollstuhl sitzenden herrischen Gräfin Sobryansky (Hildegard Knef) und dem plastischen Chirurgen Dr. Vando (José Ferrer) mit Argusaugen bewacht und vor Fremden beschützt.
Als Fedora in einem belebten Touristenviertel ihren Bewachern entwischen kann, um sich einige Filme für eine Kamera zu kaufen, gelingt es Detweiler, sich der ungewöhnlich jung aussehenden, aber gut verhüllten Schauspielerin vorzustellen. Daran, dass sie sich 1947 bei Dreharbeiten kennengelernt und in seinem Cabrio am Strand von Santa Monica eine Liebesnacht verbracht haben, kann sich Fedora aber nicht erinnern. Durch Dr. Vando gelingt es Detweiler schließlich, sein Drehbuch in die Villa zu schmuggeln und selbst in die Villa eingeladen zu werden. Während die Gräfin nichts von dem Drehbuch hält, sieht Fedora die Chance auf ein Comeback, doch sowohl die Gräfin als auch Dr. Vando sehen ernsthafte Gefahren für Fedoras Gesundheitszustand. Schließlich habe sie schon ihren letzten Film mit Michael York, in den sie sich verliebt hat, nicht beenden können. In einem letzten Gespräch mit dem Hollywood-Star erfährt Detweiler schließlich die wahre Geschichte über Fedora …
Kritik:
Bereits in „Boulevard der Dämmerung“ rechnete Billy Wilder gnadenlos mit Hollywood ab, wobei mit dem Übergang von der Stummfilmära zum Tonfilm ganze Schauspielerscharen arbeitslos wurden und einstige Stars in Vergessenheit gerieten. Zu den eindrucksvollsten Sequenzen des Films zählten die quälenden Versuche der von Gloria Swanson verkörperten Diva Norma Desmond, ihre frühere Schönheit und Jugend wiederzugewinnen. Dieser Aspekt spielt auch Wilders „Fedora“ eine wesentliche Rolle. Der Film basiert auf Thomas Tryons Geschichte „Fedora oder die Vergessenen“ und ist schon allein wegen seiner famosen Besetzung sehenswert. William Holden, der in „Boulevard der Dämmerung“ ebenfalls die männliche Hauptrolle des erfolglosen Drehbuchautors gespielt hatte, ist nun als ebenso erfolgloser Filmproduzent zu sehen. Beide Schicksale weisen deutliche Parallelen in ihrer jeweiligen Beziehung zu den alternden Diven auf, die ihre Karriere in Schwung bringen sollen. Der Schönheitswahn, der in Wilders 1950er Produktion eher nebenbei zur Sprache kam, bekommt in „Fedora“ allerdings eine weit tragendere und auch tragischere Rolle, wenn die Hollywood-Ikone sich unzähligen, auch experimentellen Schönheitsbehandlungen unterzieht, um ihre jugendliche Ausstrahlung zu bewahren.
Aber auch über den Starruhm und Jugendlichkeitswahn hinaus lässt Wilder kein gutes Haar an Hollywood, bezieht sich auf die Zensurmethoden, unter denen er in der Ära des Hays Code selbst zu leiden hatte, ebenso wie auf die neue Generation von Filmemachern (des New Hollywood), denen einfache Handkameras für ihre Werke auszureichen scheinen.
Marthe Keller („Der Marathon-Mann“, „Bobby Deerfield“) mimt die von der Öffentlichkeit stark abgeschirmte, paranoid und verzweifelt wirkende Hollywood-Diva mit der richtigen Mischung aus charmanter Ausstrahlung und temperamentvoller Verzweiflung, während Hildegard Knef („Lulu“, „Jeder stirbt für sich allein“) perfekt die herrische Gräfin spielt. Dazu sorgen Michael York und Henry Fonda in Cameo-Auftritten für das authentische Hollywood-Feeling, das William Holden als abgehalfteter Produzent wunderbar abrundet.
„Fedora“ ist nicht das große Meisterwerk, wie es „Boulevard der Dämmerung“ 28 Jahre zuvor gewesen war, aber es ist ein bitteres Alterswerk, das aufzeigt, dass Billy Wilder trotz seiner großen Erfolge in Hollywood nicht so recht glücklich geworden ist.
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