Wer klopft denn da an meine Tür?

Eigentlich wollte Martin Scorsese, der mit seinen Eltern 1950 nach Little Italy in dem New Yorker Stadtteil Manhattan zog, Priester werden, wurde aber aus der Jesuitenschule ausgeschlossen und wandte sich 1960 der Filmkunst zu. An der New York University drehte er bereits einige Kurzfilme und begann mit der Arbeit an seinem ersten Spielfilm, der erst nach vier Jahren Produktionszeit 1967 fertiggestellt werden konnte. „Wer klopft denn da an meine Tür?“ wirkt noch längst nicht so kohärent wie Scorseses späteren Filme, nimmt mit dem Konflikt seines Protagonisten mit der Kirche aber schon ein wiederkehrendes Thema in seinem Oeuvre vorweg. 

Inhalt: 

Der frühere Bankangestellte J.R. (Harvey Keitel) ist zur Zeit ohne Beschäftigung und lässt sich durch die Tage treiben, hängt vorwiegend mit seinen Kumpels Joey (Lennard Kuras) und Sally Gaga (Michael Scala) ab, feiert mit ihnen Partys, hat einfach nur Spaß. Etwas Abwechslung kommt in sein Leben, als er in dem Wartebereich für die Passagiere der Fähre ein blondes Mädchen (Zina Bethune) kennenlernt, das in einem französischen Magazin liest. Über das dort abgebildete Foto von John Wayne aus dem Film „Der schwarze Falke“ kommen die beiden ins Gespräch, wobei J.R. feststellt, dass die junge Frau ebenfalls Western liebt. Die beiden verlieben sich ineinander, planen sogar zu heiraten, doch in Sachen Sex ist J.R. altmodisch und fühlt sich von den Marienstatuen seiner Mutter beobachtet. 
Als sie aber anvertraut, dass sie von einem Jungen, mit dem sie früher gegangen ist, vergewaltigt wurde, versteht J.R. die Welt nicht mehr, hält ihre Geschichte für unglaubwürdig und wendet sich von ihr ab, als er den Widerspruch zwischen der Hure und der Heiligen in ihr nicht miteinander in Einklang bringen kann. 

Kritik: 

Da Martin Scorsese, der 1965 seinen Bachelor machte und dann an seinem Master-Abschluss arbeitete, während der Produktion seines ersten Spielfilms ständig das Geld ausging, zogen sich die Dreharbeiten über Jahre hin, bis sein Professor Haig Manoogian und einer seiner Studenten 37.000 Dollar auftrieben, mit denen Scorsese „Who’s That Knocking On My Door?“ endlich fertigstellen konnte. Harvey Keitel, der nach mäßigen Erfolgen in Off-Broadway-Shows seine Schauspielkarriere schon aufgeben wollte, stieß durch eine Annonce auf Scorseses Filmprojekt und wurde in seinem Spielfilmdebüt in der Rolle des J.R. zu einer Art Alter ego des Regisseurs. Wie Scorsese selbst scheint J.R. hin- und hergerissen zwischen Religion und Film, treibt mit seinen Jungs ziellos von Party zu Party, von Bar zu Bar und lernt mit dem namenlosen Mädchen eine ganz andere Welt kennen, der er sich aber nicht ganz anvertrauen mag. 
Die Geschichte zwischen J.R. und dem Mädchen wird überwiegend in Rückblenden erzählt. Dass der Film dann doch eine raffiniert inszenierte, lange Sexszene zu einem Song von The Doors enthält, ist übrigens dem Drängen von Verleiher Joseph Brenner zu verdanken, der sich so bessere Absatzchancen des Films ausrechnete. Tatsächlich zählt die künstlerisch anspruchsvoll inszenierte Liebesszene zwischen J.R. und verschiedenen anonymen „Miezen“, wie er sie abschätzig nennt, zu den erinnerungswürdigen Höhepunkten des Films, passt allerdings nicht so recht in das Gesamtbild des Films. 
J.R.‘s Gewissenkonflikt wird dagegen eher unbeholfen und wenig subtil zum Ausdruck gebracht. Ebenso wie die schönen Close-ups der Gesichter von J.R. und seinen Kumpels auf der einen, von seiner Freundin auf der anderen Seite werden auch die Bilder des gekreuzigten Jesu in Nahaufnahmen gegengeschnitten. Zina Bethune überzeugt als gebildetes und einfühlsames Mädchen, das J.R. über alles liebt und ihn deshalb auch in ihr dunkles Geheimnis einweiht. Harvey Keitel, der mit Scorsese auch noch die Filme „Hexenkessel“, „Alice lebt hier nicht mehr“, „Taxi Driver“, „Die letzte Versuchung Christi“ und „The Irishman“ realisieren sollte, stellt hier schon sein Können unter Beweis, emotional vielschichtige Charaktere darzustellen, die zunächst in sich zu ruhen scheinen, aber unter Stress auch ein ganz anderes Gesicht zeigen. 
Es ist sicher der langen Produktionszeit geschuldet, dass „Wer klopft denn da an meine Tür?“ weder thematisch noch in inszenatorischer Hinsicht etwas zerfahren wirkt. Schließlich wurde der Film teilweise auf 16mm, dann auf 35mm von drei verschiedenen Kameraleuten gedreht, und Scorsese gab selbst zu, dass es über die so lange Produktionszeit keine Verbindungen mehr zwischen den Szenen gäbe, dass die Figuren selbst nicht wüssten, wo sie gerade stünden. Aber sein Debüt macht schon deutlich, wie sehr Scorsese gerade die Menschen in seinem Viertel am Herzen, die jenseits des Mainstreams ihr Leben zu meistern versuchen.  

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