Nachts unterwegs
Bevor Humphrey Bogart 1941 seinen Durchbruch als Hollywood-Star in Raoul Walshs Film-noir-Klassiker „Entscheidung in der Sierra“ feiern durfte, war er ein Jahr zuvor ebenfalls unter der Regie von Walsh in dem Liebes-Thriller-Drama „Nachts unterwegs“ zu sehen – allerdings spielte er hier nach George Raft und Ida Lupino noch die zweite bzw. dritte Geige.
Nach der „Großen Depression“ versuchen die beiden Brüder Joe (George Raft) und Paul Fabrini (Humphrey Bogart) als Spediteure halbwegs über die Runden zu kommen, doch der Job ist hart. Ihren LKW haben sie auf Kredit gekauft, mit den Raten hinken sie bereits hinterher, ihr Chef ist ein geiziger Halunke, der sie nach einer Autopanne mit kaputtem Reifen nicht nur hängenlässt, sondern ihre Ladung auch noch von einem anderen Fahrer abholen lässt. Die beiden Brüder holen sich die ihnen noch zustehenden 300 Dollar mit Gewalt aus dem Büro ihres Bosses und wollen zusehen, auf eigene Kosten zu arbeiten, um sich das Leben leisten zu können, das ihnen vorschwebt. Paul will vor allem mehr Zeit mit seiner Frau Pearl (Gale Page) verbringen und ihren Wunsch nach einem Baby erfüllen.
Joe ist der geschäftstüchtigere von beiden und verliebt sich in Cassie Hartley (Ann Sheridan), die er in einem Diner kennengelernt und dann nachts auf der Straße aufgelesen hat, nachdem sie wegen ihres aufdringlichen Chefs ihren Job geschmissen hatte. Während Paul mal wieder eine Nacht zuhause verbrachte, hat Joe von den 300 Dollar eine Ladung Zitronen gekauft, die er gewinnbringend auf dem Markt an den Mann bringen will. Tatsächlich können die Fabrinis ihre Fracht für 580 Dollar verkaufen und den Truck abbezahlen. Doch auf dem Heimweg schläft der übermüdete Paul am Steuer ein und verletzt sich bei dem Unfall so schwer, dass ihm ein Arm abgenommen werden muss. Um für sich und seinen Bruder den Lebensunterhalt verdienen zu können, nimmt Joe das Angebot seines alten Chefs Ed Carlsen (Alan Hale) an, für ihn zu arbeiten. Dabei begegnet er seiner alten Freundin Lana (Ida Lupino), die mittlerweile mit Carlsen verheiratet ist, ein Leben im Wohlstand führt, aber von ihrem trinkfreudigen, leutseligen und überlauten Gatten schnell angewidert ist.
Um ihren alten Geliebten Joe wieder für sich zurückzugewinnen, bringt sie ihren betrunkenen Mann in der Garage ihres neuen Heims um, doch wird Carlsens Tod als Unfall deklariert. Sie kann Joe überreden, mit ihr das Unternehmen ihres verstorbenen Mannes zu führen, doch gelingt es ihr nach wie vor nicht, Joes Herz zu gewinnen …
Kritik:
Der überaus produktive wie erfolgreiche Schauspieler und Filmemacher Raoul Walsh hat nach dem Roman von A.I. Bezzerides mit „Nachts unterwegs“ (dt. Alternativtitel: „Sie fuhren bei Nacht“) ein thematisch vielschichtiges Drama kreiert, das bereits viele Zutaten eines Film noirs enthält. Zunächst präsentiert sich „They Drive by Night“ als authentisch wirkendes Sozialdrama, das ausführlich die belastende Arbeit von Spediteuren beschreibt. Die Fahrer – stets zu zweit, damit sie sich abwechseln können und keine Zeit verlieren - sind so lange und viel unterwegs, dass es immer wieder vorkommt, dass sie nachts während der Fahrt am Steuer einschlafen und so oft tödliche Unfälle provozieren. Oft bekommt Pearl ihren Mann wochenlang nicht zu sehen. Und trotz der harten Arbeit, die auch noch schlecht – wenn überhaupt – bezahlt wird, kommen Joe und sein Bruder auf keinen grünen Zweig.
Mit Pauls Unfall kippt das Drama thematisch etwas holperig von seinem sozialkritischen Grundton in ein Eifersuchtsdrama, bei dem schließlich Ida Lupino („Entscheidung in der Sierra“, „Das Geständnis einer Frau“) groß als Femme fatale aufspielt, Humphrey Bogart aber als versehrter Lastwagenfahrer fast ganz in der Versenkung verschwindet. Nun dreht sich alles um Lanas Versuche, den anderweitig vergebenen Joe für sich zu gewinnen.
Im Gegensatz zu Lupinos Rolle in „Entscheidung in der Sierra“, wo ihre Figur gleichmütig die Zurückweisung des Mannes erträgt, der ihre Liebe nicht erwidert, dreht sie hier als verwöhnte, aber einsame Frau auf, deren Eifersucht auf Joes Verlobte sie in den Wahnsinn treibt. Während Bogart hier noch recht blass bleibt, gehört in „Nachts unterwegs“ George Raft („Der große Betrug“, „Der gläserne Schlüssel“) und Lupino die Show, selbst Rafts Leinwand-Partnerin Ann Sheridan („Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern“, „Zum Verbrecher verurteilt“) kann mehr Akzente als Bogart setzen und bildet das liebreizende und aufrichtige Pendant zur wunderbar psychopathisch aufspielenden Lupino.
Wenn es Walsh gelungen wäre, die beiden so unterschiedlichen Teile seines Films harmonischer miteinander zu versöhnen und die gerade zum Ende hin etwas arg konstruiert wirkende Story glaubwürdiger zu Ende zu führen, ohne den sozialkritischen Ton der ersten Hälfte aus den Augen zu verlieren, hätte auch „Nachts unterwegs“ ein kleiner Klassiker des Noir-Kinos werden können.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen