In My Skin

In den 1960er bis in die 1980er Jahre hinein machte sich in Großbritannien eine Praxis namens „Farming“ breit, mit der das Vorgehen beschrieben wurde, dass nigerianische Eltern ihre Kinder nach England in die Obhut einer weißen Familie gaben. Der nigerianisch-britische Schauspieler Adewale Akinnuoye-Agbaje („Lost“) hat mit „In My Skin“ (so der deutsche Verleihtitel von „Farming“) seine eigene ungewöhnliche Lebensgeschichte verfilmt und mit teilweise prominenter Besetzung auch ein nach wie vor leider allzu aktuelles Statement zu nationalistischen Tendenzen präsentiert.
In den 1960er Jahren wird der nigerianische Junge Enitan (Damson Idris) von seinen Eltern nach Großbritannien in die Hände des Fernfahrers Jack Carpenter (Lee Ross) und seiner Frau Ingrid (Kate Beckinsale) gegeben. Während Enitans Eltern hoffen, dass ihr Junge in England ein besseres Leben erwartet, wollen die britischen Pflegeeltern durch die staatliche Förderung vor allem ihr Einkommen aufbessern, weshalb sie weitere nigerianische Kinder in ihre Obhut nehmen und Enitan zu spüren bekommt, dass er gegenüber seinen jüngeren Pflege-Schwestern längst nicht die Zuneigung und Liebe erfährt. Stattdessen hält er sich in seinem Versteck hinter dem Sofa auf und dient seiner lieblosen Pflegemutter als Gehilfe bei ihren kleinen Ladendiebstählen. Allerdings fällt er in der Schule so negativ auf, dass er wieder nach Nigeria zurückgeschickt wird, wo er sich zunächst eines schmerzhaften Rituals unterziehen muss, bevor ihn seine leiblichen Eltern wieder in die Obhut der Carpenters geben. Auf der weitergehenden Schule wird Enitan zunehmend Opfer von Schikanierungen durch die Tilbury Skins. Doch statt klein beizugeben, schließt sich der 16-Jährige der örtlichen Skin-Gruppierung an und arbeitet sich vom Schoßhündchen zum Anführer hoch. Während Ingrid Carpenter keine Kontrolle mehr über das Leben des fast erwachsenen Enitan ausüben kann, sieht seine dunkelhäutige Lehrerin (Gugu Mbatha-Raw) noch immer Potenzial in dem klugen, aber voller Hass steckenden Jungen und nimmt ihn unter ihre Fittiche …
Der 1967 in Islington, London, als Kind nigerianischer Eltern geborene Adewale Akinnuoye-Agbaje begann eine Karriere als Model und studierte am King’s College London Jura, bevor er als Schauspieler den Durchbruch in den Serien „Oz“ und „Lost“ schaffte und in den letzten Jahren in Filmen wie „Trumbo“, „Erschütternde Wahrheit“ und „Suicide Squad“ zu sehen war. In seinem autobiografischen Spielfilmdebüt verkörpert er selbst Enitans Vater, fokussiert sich aber vor allem auf die Inszenierung seiner außergewöhnlichen und aufwühlenden Geschichte. Dass sich ein Schwarzer zum Anführer einer überaus gewalttätigen Skin-Gruppierung entwickelt, mutet zunächst grotesk an, doch Akinnuoye-Agbaje gelingt es, diesen Werdegang glaubwürdig nachzuzeichnen. Dazu genügen wenige Szenen, in denen seine Eltern ihn den britischen Pflegeeltern aus dem Arbeitermilieu übergeben, wo er schnell nur eines von vielen Pflegekindern darstellt, die oft nicht richtig vom staatlichen System erfasst worden sind und deshalb versteckt werden müssen, wenn eine Betreuerin vor Ort die Umstände der Pflegesituation begutachtet.
Kate Beckinsale („Underworld“, „Aviator“) verkörpert die wenig Sympathien erweckende Pflegemutter ebenso temperamentvoll wie vielschichtig. Obwohl sie offensichtlich nicht viel Liebe für ihr erstes nigerianisches Pflegekind aufbringt, ist ihr sein Schicksal doch nicht gleichgültig. Um aber die nötige Überzeugungsarbeit für das Publikum zu leisten, konzentriert sich der Regisseur natürlich auf das Umfeld der Hooligan-Skins, die in Levi (John Dagleish) einen charismatischen wie brutalen Anführer haben. In schockierenden Bildern dokumentiert Akinnuoye-Agbaje die Erniedrigungen, die Enitan schon als kleiner Junge, vor allem aber als Heranwachsender erleiden muss. Eine Schlüsselszene spielt sich im Badezimmer ab, als der junge Enitan eine Dose mit weißem Puder gegen den Spiegel wirft und dann fasziniert das verstreute Pulver auf dem Vorleger betrachtet. In der nächsten Szene hat er sich mit dem weißen Pulver beschmiert und damit die Wandlung in die Rolle eines Weißen vollzogen.
Auch wenn die Beschreibungen des Alltags im Umfeld der Hooligans sämtliche Klischees widerkäut, bleiben die Nah- und Großaufnahmen von Kameramann Kit Fraser („Under the Shadow“, „Eternal Beauty“) durch die unmittelbare Rohheit lange im Gedächtnis haften und machen deutlich, wie die fehlende Liebe und Heimat ein Gefühl des Verlorenseins und des Hasses hervorrufen, das sich in Wut und Gewalt einen Ausdruck sucht.
Vor allem die physisch beeindruckende Darstellung von Damson Idris („The Commuter“, „Snowfall“) lässt den Zuschauer nachfühlen, durch welches hochexplosives Wechselbad der Gefühle seine Figur gehen muss. Beim 33. Braunschweig International Film Festival wurde „Farming“ aka „In My Skin“ deshalb mit dem Jurypreis der Volkswagen Financial Services ausgezeichnet.
"In My Skin" in der IMDb

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