Der weiße Hai

Es ist eine der schönen Geschichten, die nur Hollywood schreiben kann: Steven Spielberg hatte eigentlich absolut keine Lust, für Universal einen B-Movie-Film wie „Der weiße Hai“ zu drehen, und wollte aus seinem Vertrag (der sieben Filme umfasste) vorzeitig raus, um künstlerische, persönliche Filme machen zu können, doch blieb das Studio – zum Glück – hartnäckig. Trotz großer Probleme während der Produktion entwickelte sich „Der weiße Hai“ 1975 zum internationalen Kassenschlager und spielte bei einem Budget von 7 Millionen US-Dollar weltweit mehr als sagenhafte 470 Millionen Dollar ein! Für Spielberg bedeutete dieser phänomenale Erfolg vor allem, dass er zunehmend freie Hand bei der Auswahl und Gestaltung seiner Filmprojekte erhielt.
Der aus New York stammende Martin Brody (Roy Scheider) ist mit seiner Frau Ellen (Lorraine Gary) und seinen beiden Söhnen an den kleinen Badeort Amity Island gezogen und hat dort den Job des Polizeichefs angenommen, da wird er schon mit einem grausigen Leichenfund konfrontiert. Das junge Mädchen, das an den Strand gespült worden ist, weist offenbar Bisse von einem Hai auf, doch auf Druck von Bürgermeister Vaughn (Murray Hamilton) vermerkt der Pathologe in seinem Bericht, dass das Opfer durch eine Schiffsschraube umgekommen sei. Schließlich steht der 4. Juli und damit der für den Ort so wichtige Ansturm der Touristen vor der Tür. Doch Brody will auf Nummer sicher gehen und fordert mit Matt Hooper (Richard Dreyfuss) einen Experten vom ozeanographischen Institut an. Als dieser die Leiche begutachtet, ist er sich absolut sicher, dass ein riesiger Hai für den Tod des Mädchens verantwortlich war, und drängt darauf, dass der Strand geschlossen und Jagd auf den Hai gemacht wird, denn es handelt sich hier um eine Fressmaschine, die das Territorium erst wieder verlässt, wenn es leergefressen ist. Von einer geschäftsschädigenden Strandsperrung wollen weder der Bürgermeister noch die Geschäftsleute etwas wissen. Doch kaum sind die ersten Hemmungen verschwunden und die ersten Menschen ins Wasser gegangen, schlägt der Hai wieder zu. Die Mutter des getöteten Kindes setzt eine Fangprämie für den Hai aus, so dass sich bald eine ganze Schar von Fischern auf die Jagd macht. Tatsächlich wird bald ein Hai an Land getötet und medienwirksam zur Schau gestellt, doch Hooper ist sich ziemlich sicher, dass dieses Tier viel zu klein ist, um die ersten beiden Opfer getötet haben zu können. So machen schließlich der wasserscheue Brody, Hooper und der Kriegsveteran Quint und erfahrene Fischer (Robert Shaw) auf den Weg, die Bestie zu jagen, die dem ungleichen Trio schließlich alles abverlangt …
Steven Spielberg war von dem Skript des Romanautors Peter Benchley alles andere als angetan und setzte mehrere Leute daran, das Drehbuch zu einer verfilmbaren Geschichte formen zu lassen. Viele Elemente des Romans – wie die Affäre zwischen Brodys Frau und dem jungen Hai-Experten vom Ozeanographischen Institut oder die Verstrickung der Protagonisten in Machenschaften der Mafia – wurden eliminiert, um den Plot auf das Wesentliche zu reduzieren.
„Der weiße Hai“ fügt sich dabei in die populäre Reihe von Katastrophenfilmen ein, die mit der Niederlage im Vietnam-Krieg aufkamen („Die Höllenfahrt der Poseidon“, „Airport“) und deutlich machten, dass Einzelne für die Katastrophen verantwortlich waren und am Ende die opferbereiten Guten, meistens mittelständische Weiße, die mit ihrem beherztem Vorgehen die Bevölkerung zur Besinnung brachten. Nur ist es hier nicht der unermessliche Glaube an den Fortschritt, der hier zur Räson gebracht wird, sondern das sexuelle Lustprinzip und die politische Korrumpierbarkeit. In der legendär gewordenen Eröffnungssequenz inszeniert Spielberg den ultimativen Alptraum, als ein junges Mädchen nackt bei einem romantischen Sonnenuntergang ins Meer schwimmen geht und dabei aus den Tiefen des Wassers von einem archetypischen Monster zerrissen wird.
Der Hai, der übrigens erst in der 80. Filmminute zu sehen ist, verkörpert hier die Urangst und das schlechte Gewissen in uns. Aber der Plot von „Der weiße Hai“ hat auch seine politische Komponente, in der der gewissenlose Bürgermeister als Stellvertreter Nixons fungiert und die drei Hai-Jäger jeweils ganz unterschiedliche Typen verkörperten. Während der Vietnam-Veteran Quint die konservative Seite abdeckt, fällt es nicht schwer, den bärtigen Hooper als Vertreter des linken Spektrums auszumachen und Brody als einfachen, pragmatisch denkenden Mann der Mittelschicht. Während die erste Hälfte des Films auf vor allem auf die politischen Aspekte fokussiert ist und die Profitgier über den Wert von Menschenleben regiert, kommt es in der zweiten Hälfte zum packenden Showdown zwischen dem riesigen weißen Hai und den Menschen, wobei die Frage, wer Jäger und wer Gejagter ist, die Spannung der Handlung ausmacht. Zu den stärksten Szenen zählen aber nicht nur Quints Versuche, den Hai zu töten, sondern vor allem die Episode unter Deck, als Hooper und Quint die Geschichten ihrer Narben abwechselnd zum Besten geben und Quint in dieser an sich heiteren Stimmung von dem Grauen erzählt, als er auf der USS Indianapolis miterleben musste, dass das torpedierte Schiff innerhalb weniger Minuten gesunken war und die Haie die Besatzung rasend schnell dezimierte. Mit dieser effektiv erzählten Episode macht Spielberg gleichzeitig deutlich, was die drei Männer auf Quints Boot erwartet, wenn sie mit ihrer Mission scheitern und nicht eine Bombe, sondern der Hai ihr Boot zerlegt. Es ist bemerkenswert mitanzusehen, wie drei so unterschiedliche Männer in einer lebensbedrohlichen Situation doch zusammengeschweißt werden. So reflektiert „Der weiße Hai“ nicht nur die amerikanischen Urängste vor hemmungslosem Sex und verlorenen Kriegen, sondern wieder einmal die Bereitschaft eines einzelnen Mannes aus der Mittelschicht, trotz ganz persönlicher Ängste sein Leben aufs Spiel zu setzen, um die Gemeinschaft vor weiterem Schaden zu bewahren. Bei allen subtextuellen Deutungsebenen bietet „Der weiße Hai“ aber einfach perfekt gemachtes Spannungskino, das von der lange Zeit nicht sichtbar gemachten Gefahr lebt, die der vermeintliche Mörderhai verbreitet und von John Williams schon von Beginn an meisterhaft musikalisch untermalt wird. Letztlich wurde nicht nur Williams‘ Musik mit einem Oscar ausgezeichnet, sondern auch der Sound und der Schnitt (bei einer weiteren Nominierung für den besten Film).
"Der weiße Hai" in der IMDb

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