Sugarland Express

Nachdem Steven Spielberg mit „Duell“ 1971 den Höhepunkt seiner Karriere beim Fernsehen erreicht hatte und der Film um eine Viertelstunde verlängert zwei Jahre später sogar ins europäische Kino gekommen war, ermöglichte ihm Universal im Jahre 1974 mit „Sugarland Expresss“ sein Kinodebüt zu inszenieren, das auf wahren Begebenheiten beruhte und ein weiteres Mal demonstrierte, dass Spielberg ein geborener Geschichtenerzähler ist.
Als die arbeitslose Kosmetikerin Lou Jean Poplin (Goldie Hawn) ihren Mann Clovis Poplin (William Atherton) im Gefängnis besucht, hat sie kaum gute Nachrichten im Gepäck, denn sie will sich von ihm scheiden lassen und vor allem ihren Sohn Langston zurückbekommen, den der Staat bei den Pflegeeltern Mr. (A.L. Camp) und Mrs. Nocker (Jessie Lee Fulton) in Sugarland untergebracht hat. Doch Clovis beschwört, dass er seiner Frau bei ihrer Mission zur Seite stehen will, so dass sie ihm hilft, aus der Vollzugsanstalt auszubrechen. Auf ihrem Weg nach Texas nehmen sie nicht nur einen Streifenwagen in ihren Besitz, sondern zudem den Polizisten Maxwell Slide (Michael Sacks) als Geisel. Da die Poplins nun als gewalttätige Kidnapper gelten, übernimmt Captain Tanner (Ben Johnson) die Koordination für die Festsetzung der Flüchtigen. Auf ihrer langen Reise wird nicht nur die Karawane aus Polizeifahrzeugen immer länger, auch das Interesse der Medien steigt rasant an und sorgt dafür, dass sich die Bevölkerung auf die Seite der jungen Eltern schlägt, die schließlich alles unternehmen, nur um Baby Langston wieder in ihre Obhut zu bekommen. Selbst der entführte Cop findet Verständnis für seine Kidnapper. Doch je näher das gestohlene Fahrzeug seinem Ziel kommt, umso deutlicher zeichnet sich ab, dass die Poplins mit ihrem Plan nicht durchkommen …
Steven Spielberg, Hal Barwood („Der Drachentöter“) und Matthew Robbins („Mimic - Angriff der Killerinsekten“, „Crimson Peak“) haben nach einer wahren Begebenheit aus dem Mai 1969 eine Story entwickelt, die vor allem beim amerikanischen Publikum so gut ankommt, weil sie ganz traditionelle Werte wie Familie und Freiheit thematisiert. Spielberg, der selbst immer wieder betont, welchen Kummer er unter der Scheidung seiner eigenen Eltern gelitten hatte, schickt ein junges Paar auf eine Mission, die durch die Flucht aus dem Gefängnis und das Kidnappen des jungen Polizisten absolut ausweglos erscheint. Dass sie trotzdem soweit kommen, ist einer weiteren typisch amerikanischen Tugend zu verdanken, nämlich dass Menschen anderen Menschen zu helfen, die sie zwar nicht persönlich kennen, die sie durch die mediale Berichterstattung aber zu kennen glauben. Spielberg hat dieses Phänomen in einigen Szenen sehr eindrucksvoll eingefangen. So wird in einer Kleinstadt eine Parade für Lou und Clovis abgehalten, und die am Straßenrand dicht zusammenstehenden Menschen übergeben dem Paar Spielsachen für Baby Langston und Reiseproviant.
„Sugarland Express“ ist ein schlicht erzähltes, unspektakulär inszeniertes Road Movie, das nicht nur den Beginn der langjährigen Zusammenarbeit von Spielberg mit dem Filmkomponisten John Williams markiert, sondern ein Hohelied auf urtypische amerikanische Werte darstellt. Allerdings wird das Ideal der Freiheit, wie es durch amerikanische Autos und endlose Highways verkörpert wird, durch Recht und Gesetz wieder zurechtgestutzt. Goldie Hawn, die durch die Fernsehserien „Good Morning World“ und „Laugh-In“ bekannt geworden ist mit ihrem Hollywood-Debüt „Die Kaktusblüte“ (1969) gleich einen Oscar als beste Nebendarstellerin einheimste, bietet eine gewohnt temperamentvolle Darstellung, die dem Film sein Tempo vorgibt. An ihrer Seite bilden William Atherton („Stirb langsam“, „Ghostbusters“) als ihr Leinwand-Mann, Michael Saks („Schlachthof 5“, „Amityville Horror“) als Cop-Geisel und Ben Johnson („Getaway“, „Die letzte Vorstellung“) als leitender Captain die besonnene Männer-Fraktion, was dem Drama mit humorvollen Akzenten eine wohltuende Balance verleiht. Seine wahre Meisterschaft sollte Spielberg allerdings erst in seinem nachfolgenden Meisterwerk „Der weiße Hai“ demonstrieren.
"Sugarland Express" in der IMDb

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