Alles über meine Mutter

Obwohl der spanische Filmemacher Pedro Almodóvar bis in die 1990er Jahre hinein vor allem für seine komödiantischen Stoffe wie „Labyrinth der Leidenschaften“ und „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ bekannt geworden ist, hat er seine künstlerische Reife eher mit Dramen wie „High Heels“ und „Live Flesh – Mit Haut und Haar“ erreicht. Sein Meisterwerk lieferte der Spanier 1999 mit „Alles über meine Mutter“ ab, mit dem Almodóvar auch den Oscar für den besten fremdsprachigen Film einheimsen konnte und der Cecilia Roth in ihrer besten Rolle präsentiert. 
Inhalt: 
An seinem 17. Geburtstag bekommt Esteban (Eloy Azorín) von seiner Mutter Manuela (Cecilia Roth) nicht nur eine Ausgabe von Truman Capotes „Musik für Chamäleons“ geschenkt, sondern besucht mit ihr auch das Theaterstück „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams mit Huma Rojo (Marisa Peredes) in der Hauptrolle. Esteban schreibt selbst an einem Drehbuch über das Leben seiner Mutter, die auf den Fotos, die Esteban von ihr zu sehen bekommt, immer nur die Hälfte eines Paars darstellt. Nichts würde Esteban lieber wollen, als seinen Vater kennenzulernen. 
Nach dem Theaterbesuch wartet Manuela mit ihrem Sohn noch im Regen auf Huma Rojo, von der er sich ein Autogramm wünscht, doch ist sie mit ihrer Geliebten, der drogensüchtigen und egoistischen Kollegin Nina (Candela Peña), bereits in ein Taxi gestiegen, als Esteban sie erreicht. Als er dem Taxi verzweifelt nachläuft, wird er von einem Auto erfasst und im Krankenhaus für tot erklärt. Manuela gibt ihren Job im Krankenhaus auf und reist von Madrid nach Barcelona, wo sie sich auf die Suche nach Estebans Vater macht. Auf dem Straßenstrich findet sie zwar nicht den Transvestiten Lola (Tony Cantó), der einst Esteban hieß und nichts von der Existenz seines Sohnes weiß, aber ihre alte Freundin Agrado (Antonia San Juan), eine Transsexuelle mit silikonvergrößerten Brüsten. 
Auf der Suche nach einem Job lernt Manuela über Agrado die Ordensschwester Rosa (Penélope Cruz) kennen, die sich für Prostituierte einsetzt, aber selbst große Probleme hat. Rosas Mutter (Rosa María Sardà) ist über ihren geplanten Fortgang nach El Salvador entsetzt und weiß nichts von ihrer Schwangerschaft, während ihr Vater (Fernando Fernán Gómez) ausschließlich in seiner eigenen Welt der Erinnerungen lebt. Rosa bezieht ein Zimmer in Manuelas Wohnung und muss feststellen, dass sie sich bei dem Vater ihres Kindes mit dem HIV-Virus angesteckt hat… 

Kritik: 

Bereits in „Mein blühendes Geheimnis“ war zu Beginn eine Szene zu sehen, in der zwei Ärzte einer Frau mitteilten, dass ihr Mann gehirntot sei und man sich über die Möglichkeit einer Organtransplantation unterhalten müsse. Während jene Szene im Rahmen einer Weiterbildung nur gespielt war, hat die Krankenschwester Manuela in „Alles über meine Mutter“ nun tatsächlich darüber zu entscheiden, ob die Organe ihres getöteten Sohnes das Leben anderer Menschen retten soll. Tatsächlich bildete die Organspende-Szene aus „Mein blühendes Geheimnis“ den Ausgangspunkt für „Alles über meine Mutter“, denn Almodóvar wollte einen Film über die schauspielerischen Fähigkeiten von Menschen machen, die keine Schauspieler sind. 
Dass auch bei „Alles über meine Mutter“ die Frauen im Mittelpunkt stehen, verwundert bei Almodóvar nicht. Im Mittelpunkt der Geschichte steht zwar Manuela, die nach dem Verlust ihres Sohnes und ihres Jobs ihr Leben in Madrid aufgibt, um in Barcelona nach Estebans Vater zu suchen. Aber indem sie sich sowohl für die unbeholfene, unglückliche Schauspielerin Huma Rojo und die unglückliche Rosa aufopfert, spielen auch deren Schicksale eine große Rolle in dem vielschichtigen Film. 
Cecilia Roth („Das Kloster zum heiligen Wahnsinn“, „Labyrinth der Leidenschaften“) brilliert als tapfere Frau, die sich von der Trauer über den Tod ihres Sohnes nicht erdrücken lässt, sondern zunächst als Assistentin für Huma Rojo zur Verfügung steht, dann die Rolle der verständnisvollen und hilfsbereiten Mutter für Rosa einnimmt. Die Männer kommen dagegen in „Alles über meine Mutter“ nicht gut weg. Huma Rojos Kollege, der Schauspieler Mario (Carlos Lozano), ist nur daran interessiert, sich von La Agrado sexuell befriedigen zu lassen, Rosas dementer Vater ist in seiner eigenen Welt gefangen, und Estebans Vater und Agrado haben alles in die Wege geleitet, um zu Frauen zu werden. Wie die Eingangssequenz mit Ausschnitten aus Mankiewicz‘ Meisterwerk „Alles über Eva“ mit Bette Davis und Anne Baxter in den Hauptrollen andeutet und sich in Almodóvars Filmtitel „Alles über meine Mutter“ widerspiegelt, erzählt Almodóvars Film von Frauen, die in unterschiedliche Rollen schlüpfen müssen, um überleben zu können. Manuela macht das so überzeugend, dass sie sogar kurzfristig die Rolle von Stella in „Endstation Sehnsucht“ übernimmt und da ebenso routiniert agiert wie im richtigen Leben, wo sie sowohl der alternden Schauspielerin Huma Rojo als auch der überforderten werdenden Mutter Rosa eine große Stütze ist, dabei aber nie ihr eigentliches Vorhaben, Estebans Vater zu finden, aus den Augen verliert. 
Auch wenn der Humor nicht zu kurz kommt, ist Almodóvar mit „Alles über meine Mutter“ doch ein sehr einfühlsames Drama mit vielschichtigen Figuren gelungen, die allerdings „larger than life“ konzipiert sind und deren Beziehungen zueinander stellenweise recht konstruiert wirken. Davon abgesehen ist das vielprämierte Meisterwerk ein Film über die Kraft der Liebe und der Träume, die über Tod, Schmerz und Verlust triumphiert, über Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen und immer neue Wege finden, sich neu zu entdecken, während die Männer unglücklich sind, krank werden und sterben. 
Neben Almodóvars feinfühligen Drehbuch und seiner stilsicheren Inszenierung brillieren vor allem Cecilia Roth, Marisa Peredes, Penélope Cruz und Antonia San Juan in den kraftvollen Portraits außergewöhnlicher Frauen.  

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