Fessle mich!

Nach den fast schon wilden, komödiantischen Werken, mit denen Pedro Almodóvar zu Beginn der 1980er Jahre in seiner spanischen Heimat für Kontroversen sorgte, gelang ihm mit der aufgedrehten Beziehungs-Komödie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ der verdiente internationale Durchbruch. Das führte nicht nur dazu, dass seine Lieblingsschauspielerin Carmen Maura nun auch von anderen Filmemachern begehrt wurde, sondern dass er sich für seinen nächsten Film „Átame – Fessle mich!“ sogar die Dienste des berühmten Komponisten Ennio Morricone sichern konnte. Das hielt Almodóvar aber nicht davon ab, mit „Fessle mich!“ seinen freizügigsten und kontroversesten Film zu inszenieren. 

Inhalt: 

Ricky (Antonio Banderas) hat die meiste Zeit seines 23-jährigen Lebens in Erziehungsanstalten und Psychiatrien verbracht. Als er schließlich rechtskräftig aus einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt entlassen wird, hat er nur einen Wunsch: „Arbeiten und eine Familie gründen – wie jeder normale Mensch.“ Die Direktorin hat guten Grund, an Rickys Plan und an seinem Selbstbild zu zweifeln. Zwar schätzt sie ihn als geschickten Allround-Handwerker und Liebhaber, aber trotz der Entlassungsempfehlung ist Ricky sicher alles andere als normal. Von der Skepsis der Direktorin gänzlich unbeeindruckt, macht sich Ricky sogleich auf den Weg, seinen Plan umzusetzen. 
Er besorgt sich ein Messer und kauft für seine zukünftige Frau schon mal ein kitschiges Herz. Zwar weiß die Glückliche noch nichts davon, aber Ricky hat seine Traumfrau bereits vor einem Jahr getroffen, als er bei einem seiner Ausbrüche einen One-Night-Stand mit der Porno- und Horror-Darstellerin Marina (Victoria Abril) hatte. Er sucht sie in dem Filmstudio auf, wo der Regisseur Maximo (Francisco Rabal) gerade die letzten Szenen zu seinem Horrorstreifen „Das Grauen kam um Mitternacht“ dreht und Marina die Hauptrolle spielt. Ricky schnappt sich eine Perücke, passt einen Moment ab, sich bei Marina wieder in Erinnerung zu rufen, doch zeigt sie sich nicht interessiert. In der Garderobe sackt Ricky schließlich Geld, einen Walkman, Handschellen, Marinas Adresse und Wohnungsschlüssel ein und folgt seiner Angebeteten nach ihrem Dreh bis zu ihrer Wohnung, zu der er sich gewaltsam Zugang verschafft. Marina ist natürlich alles andere als angetan von Rickys Vorgehen, doch ehe sie sich richtig wehren kann, hat Ricky sie schon ohnmächtig geschlagen und geknebelt und ans Bett gefesselt. 
Nachdem er Marina eröffnet hat, dass er 23 Jahre alt sei, 50000 Peseten habe und ihr ein guter Ehemann mit Haus und Kindern sein wolle, wartet er mehr oder weniger geduldig, bis sie seine Gefühle erwidert. Doch die Wartezeit verbringt er nicht ohne Komplikationen. Zum einen suchen sowohl Marina Schwester Lola (Loles León) und der in Marina verliebte, nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselte Regisseur nach ihr. Zum anderen leidet sie unter starken Zahnschmerzen. Als ehemalige Drogenabhängige helfen konventionelle Schmerzmittel nicht, weshalb sie Ricky losschickt, das etwas härtere Zeug zu besorgen. Als er dabei an eine Drogenhändlerin (Rossy de Palma) gerät, die sich nicht abzocken lassen will, muss Ricky erfahren, dass sein Weg zum Glück doch steiniger ausfällt als erwartet… 

Kritik: 

Almodóvars Werke waren seit jeher schwierig einem bestimmten Genre zuzuordnen. In seinen Komödien fanden sich auch stets Elemente des Dramas oder des Thrillers bzw. auch umgekehrt. „Fessle mich!“ wiederum könnte vordergründig als Film gewordene Männlichkeits-Fantasie durchgehen, in der sich der Mann die begehrte Frau mit Gewalt gefügig macht. Doch diese Interpretation, die gerade in den USA zu einer pornografischen Bewertung führte, greift letztlich zu kurz. Bereits die Film-im-Film-Situation zu Beginn des Films, als Marina in ihrer Rolle vor dem entstellten Monster flieht, macht deutlich, dass die Grenze zwischen Liebes- und Horrorfilm verschwimmt, wie auch der Regisseur von „Das Grauen kam um Mitternacht“ bemerkt, dass man beides manchmal nicht auseinanderhalten könne. 
Almodóvar folgt nicht nur in kostentechnischer Hinsicht dem B-Movie-König Roger Corman, indem er Teile der Kulissen von „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ für „Fessle mich!“ wiederverwendete, sondern zitiert auch sonst fleißig aus Genre-Kino der 1950er und 1960er Jahre, wenn das Filmplakat von „Invasion der Körperfresser“ ins Bild kommt oder der Vorspann von „Die Nacht der lebenden Toten“ im Fernsehen läuft. „Fessle mich!“ wirkt wie eine moderne, urbane Variante von Abenteuer-Klassikern wie „Das Phantom der Oper“, „King Kong“, „Tarzan, der Affenmensch“ und „Die Schöne und das Biest“, belässt es aber nicht bei sinnlichen Andeutungen. Wenn Almodóvar für sein vermeintlich pornografisches Werk kritisiert wird, dann weil er das Sexualleben seiner Protagonisten auch offen darstellt. Dabei bewahrt er sich aber auch eine kindliche Spielfreude, wie die Badewannenszene mit Marina zeigt, als sie einen aufziehbaren Plastiktaucher zwischen ihre Beine stoßen lässt und diesen dann verzückt auf ihre Brust legt. 
Auf der anderen Seite ist Almodóvar mit der Sexszene zwischen Marina und dem nach einer Schlägerei arg lädierten Ricky die wohl erotischste Szene seines Oeuvres gelungen. Zu diesem Zeitpunkt ist Marina längst nicht mehr Rickys gefesseltes Objekt der Begierde, sondern sie hat sich tatsächlich in Ricky verliebt, der sich immer rührend um ihre Bedürfnisse kümmert, sich in der Apotheke sogar beraten lässt, welche Pflaster möglichst schmerzlos zu entfernen sind, und sich in berüchtigte Gegenden begibt, um Marina Stoff zu besorgen. 
Die Beziehung zwischen Ricky und Marina ist sicherlich auf vielseitige Weise zu interpretieren, auch mit einem Verweis auf das „Stockholm-Syndrom“, doch eigentlich überspitzt Almodóvar nur das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Männern und Frauen. Dabei überzeugt nicht nur Antonio Banderas bei seinem fünften Auftritt in einem Almodóvar-Film als naiv-liebevoller Stalker, sondern auch Victoria Abril als leicht verkorkste Schauspielerin, der Ricky die Möglichkeit bietet, ein halbwegs „normales“ Leben zu führen.  

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