Die Haut, in der ich wohne

Pedro Almodóvar hat in seiner über dreißigjährigen Karriere als Filmemacher bereits einige außergewöhnliche, teils skurrile, genreübergreifende Werke ins Kino gebracht, doch mit „Die Haut, in der ich wohne“ (2011) hat diese Entwicklung einen unbestreitbaren Höhepunkt erreicht. Die Verfilmung von Thierry Jonquets düsteren Roman „Mygale“ bringt Almodóvar nach „Fessle mich!“ (1990) nicht nur wieder mit Antonio Banderas zusammen, sondern geht auf eindringliche Weise den Fragen nach Identität, Liebe, Tod und Leidenschaft nach. 

Inhalt: 

Im Jahr 2012 hält der Chirurg Robert Ledgard (Antonio Banderas) in Toledo vor Kollegen einen Vortrag über seine Experimente mit der Entwicklung einer widerstandsfähigeren Haut. Schließlich würde sich die Identität eines Menschen vor allem über das Gesicht definieren. Ledgard ist von seiner Arbeit deshalb so besessen, weil seine Frau und seine Tochter bei einem Autounfall so schwer verbrannt wurden, dass sie sich nach ihrer Wiederherstellung nicht mehr im Spiegel betrachten konnten und sich später nacheinander das Leben nahmen. Während des Vortrags verweist Ledgard auf erfolgreiche Tests an Mäusen, doch tatsächlich hat er verbotene Experimente mit der Verbindung von menschlichen Zellen mit denen von Schweinen durchgeführt und testet seine neu entwickelte Haut in seiner Villa an einem menschlichen „Versuchskaninchen“. 
Vera (Elena Anaya) ist Tag und Nacht in einem Zimmer der Villa eingesperrt, bekommt von der Haushälterin Marilia (Marisa Paredes) über einen Lastenaufzug ihr Essen und die Dinge, die sie benötigt, und wird von ihrem Schöpfer über Kameras und riesige Plasmabildschirme beobachtet. Als der wegen eines Banküberfalls gesuchte Zeca (Roberto Álamo) in einem Tigerkostüm bei Marilia, seiner Mutter, auftaucht, glaubt er, auf einer der Überwachungsmonitore in Vera seine frühere Geliebte zu erkennen. Da sich Marilia weigert, ihm den Weg zu der Gefangenen zu weisen, fesselt er sie, sucht Vera im ganzen Haus und vergewaltigt sie schließlich. Als Ledgard nach Hause kommt, setzt er eine Kette von schrecklichen Ereignissen in Gang… 

Kritik: 

„Die Haut, in der ich wohne“ beschwört von Beginn an gleich zwei Vergleiche herauf, zum einen zu Mary Shelleys Klassiker „Frankenstein“, wo der titelgebende Wissenschaftler in einem Vortrag über Experimente mit Toten berichtet, die durch Elektrizität wieder zum Leben erweckt werden können, zum anderen zu Georges Franjus Film „Augen ohne Gesicht aus dem Jahr 1960. 
Almodóvar nimmt sich viel Zeit, zunächst die wissenschaftliche Arbeit des Chirurgen zu beschreiben, der in seiner heimischen Villa eine geheime Privatklinik betreibt und dessen Vorgehen jenseits aller ethischen Prinzipien von seinen Kollegen geächtet wird. Doch bei aller Akribie, mit der Ledgard an einer widerstandsfähigeren Haut arbeitet, wird vor allem durch die geschickt inszenierten Rückblenden immer deutlicher, warum der Mann alles versucht, aus Vera das Ebenbild seiner verstorbenen Frau zu machen. 
Die Rückblenden dröseln auch die komplizierten Beziehungen zwischen Ledgard, Zeca, Marilia und Ledgards verstorbener Frau Gal auf und legen die erschreckenden Grundlagen für Ledgards Wahl seines menschlichen Versuchskaninchens frei. Spätestens hier überschreitet Almodóvar die Grenzen des Dramas und steigt in die abgründigen Tiefen des Horror-Genres ein. Hier kommen Rachegefühle ebenso ins Spiel wie das Stockholm-Syndrom, das Spiel mit den – auch sexuellen – Identitäten und Leidenschaften, die auch über den Tod hinweg Bestand haben und ins Verderben führen können. 
Nicht zuletzt durch gleich zwei Vergewaltigungen thematisiert Almodóvar neben den aufgezwängten Operationen und Veras Isolationshaft die Grenzüberschreitungen, mit denen Menschen/Männer ihrer Umgebung ihren Willen aufdrängen. Dabei ist es interessant zu verfolgen, wie sich Ledgard und Vera unter diesen drastischen Umständen ineinander verlieben, wie Vera am Ende herausfindet, wer sie einst gewesen ist, und wie sie beginnt, sich angesichts ihrer Geschichte mit ihrem Schicksal zu arrangieren. Zwar weist auch „Die Haut, in der ich wohne“ einige komödiantische Elemente auf, doch insgesamt stellt der Film Almodóvars düsterstes, abgründigstes Werk dar, von wunderbar von Antonio Banderas, Marisa Paredes und Elena Anaya („Van Helsing“, „Wonder Woman“) gespielt wird. 

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