Leid und Herrlichkeit

Nach gut vierzig Jahren im Filmgeschäft, in denen sich der Spanier Pedro Almodóvar zum Liebling des Arthouse-Kinos mauserte, ist eine persönliche Reflexion auf das eigene Leben und Schaffen in Form eines semi-autobiografischen Dramas durchaus gerechtfertigt. Dass Almodóvar in seinem 21. Film „Leid und Herrlichkeit“ dabei aus seinem umfangreichen Oeuvre bekannte Themen wie die katholische Erziehung, die enge Beziehung zur Mutter und das Herausbilden der (homo)sexuellen Identität aufgreift, überrascht kaum und wird von Almodóvars Alter Ego Antonio Banderas einfühlsam verkörpert. 

Inhalt: 

Der in Madrid lebende Filmemacher Salvador Mallo (Antonio Banderas) leidet nicht nur unter chronischen Kopfschmerzen, sondern vor allem unter einer Schaffenskrise. Da ein neuer Film nicht in Sicht ist, nimmt er dankbar das Angebot an, zur Wiederaufführung seines frisch restaurierten 32 Jahre alten Klassikers „Sabor“ ein paar Worte zur Einführung zu sprechen. Die Auseinandersetzung mit diesem alten Film bietet Salvador auch die Möglichkeit, sich wieder mit seinem damaligen Hauptdarsteller Alberto Crespo (Asier Etxeandia) zu versöhnen, mit dem er sich wegen dessen Heroinsucht während des Drehs völlig verkracht und ihn seitdem auch nicht mehr gesehen hat. 
Alberto ist von dem Wiedersehen zunächst alles andere als begeistert, aber er hängt immer noch am Stoff und bietet Salvador was zum Schnupfen an. Da es sonst nicht gut für Alberto läuft, nimmt er das Angebot, zusammen mit Salvador die Wiederaufführung von „Sabor“ zu präsentieren dankend an und hofft so, in Salvadors nächsten Film mitwirken zu können. Salvador ist nach dem ersten Heroin-Kick so berauscht, dass nicht nur seine Kopfschmerzen verschwinden, sondern auch Erinnerungen an seine Kindheit heraufbeschworen werden: Salvador wächst in einem Dorf in der Provinz Paterna auf, in einer unterirdisch angelegten Höhle, von der seine Mutter Jacinta (Penélope Cruz) alles andere als begeistert ist. Während der aufgeweckte Junge dem erwachsenen analphabetischen Nachbarn Eduardo (Cesar Vicente) sonntags Lesen, Schreiben und Rechnen beibringt, weißt Eduardo die Wände und mauert Fliesen, um das Heim von Salvadors Familie wohnlicher zu gestalten. Als Eduardo nach der Arbeit seinen nackten Körper wäscht, ist Salvador von dessen Anblick wie verzaubert. Dass er zum Studium allerdings auf eine Priesterschule soll, gefällt dem Jungen gar nicht, doch ohne dieses Stipendium können sich seine Eltern keine bessere Bildung für Salvador leisten. Schließlich zieht es den erwachsenen Salvador nach Madrid, wo er Federico (Leonardo Sbaraglia) kennenlernt, der sein Leben völlig auf den Kopf stellt… 

Kritik: 

Almodóvar, dessen Film „Alles über meine Mutter“ (1999) mit dem Oscar für den besten fremdsprachlichen Film ausgezeichnet wurde und der selbst einen Oscar für das Drehbuch zu „Sprich mit ihr“ gewann (2002), beginnt „Leid und Herrlichkeit“ an einem toten Punkt im Leben seines Alter Egos Salvador Mallo und bringt durch eine vielschichtige Reise seines Protagonisten in die Vergangenheit wieder Schwung in das von – teils altersbedingten – Leiden geprägten Leben des Autorenfilmers. Natürlich ist ein altes Meisterwerk der Aufhänger für die Reise in die Vergangenheit, und ebenso wie „Sabor“ durch die Restaurierung zu neuem Glanz gekommen ist, der sogar Albertos Schauspielleistung in den Augen des Regisseurs verbessert hat, gewinnt Salvador durch nostalgisch gefärbte Erinnerungen und Begegnungen mit besonderen Menschen aus seiner Vergangenheit wieder an Lebensfreude zurück. Das ist nicht nur auf den spät probierten Genuss von Heroin zurückzuführen, der den sichtlich angeschlagenen Mann (der sich beim Suchen eines Gegenstands auf dem Boden ein Kissen unter die Knie legen muss und einen Schuhanzieher verwendet) von seinen Kopfschmerzen befreit, sondern auch auf die von seiner Assistentin Mercedes (Nora Navas) initiierten Kontaktaufnahme mit Alberto. 
„Leid und Herrlichkeit“ thematisiert aber nicht nur Salvadors Versöhnung mit Alberto, sondern in dem für Almodóvar vertrauten Gebrauch von Rückblenden wird nach und nach aufgefächert, warum Salvador zu dem Menschen geworden ist, der im fortgeschrittenen Alter unter einer Sinn- und Schaffenskrise leidet. Es sind gerade die wunderschön von José Luis Alcaine („Volver – Zurückkehren“, „Passion“) eingefangenen, mit satten Farben ausgefüllten und sorgfältig arrangierten Bilder, die „Leid und Herrlichkeit“ zu einem Fest der Liebe und des Lebens machen. 
Dabei sind Almodóvar einige ganz herausragende Szenen gelungen, etwa der eine Sonntag, an dem der junge Salvador und Eduardo allein in der weiß gestrichenen Höhle sind und Eduardo zum einen eine Zeichnung von Salvador anfertigt, wie er auf dem Stuhl in einem Buch liest, und wie Salvador andererseits einen verschämten Blick auf Eduardos nackten Körper wirft und ohnmächtig zusammenbricht – allerdings aufgrund eines Sonnenstichs. 
Antonio Banderas („Der 13. Krieger“, „Irgendwann in Mexiko“) verkörpert den sinnsuchenden Filmemacher Salvador Mallo auf angenehm zurückhaltende, einfühlsame Weise und wurde zurecht mit einer Oscar-Nominierung für seine Darstellung bedacht. Aber auch Asier Etxeandia („Ma Ma – Der Ursprung der Liebe“, „La novia“) als heroinsüchtiger, abgerissener Schauspieler und Penélope Cruz als Salvadors Mutter verleihen „Leid und Herrlichkeit“ eine emotionale Tiefe, die den Film erdet und bis zur schönen Pointe im Almodóvar-typischen Finale wunderbar unterhält.  

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