Kika

Je mehr sich der spanische Filmemacher Pedro Almodóvar seinem internationale Durchbruch näherte, desto ernster wurden Werke wie „Fessle mich!“ (1989) und „High Heels“ (1991), seinem bis dato auch überzeugendsten Film. 1993 kehrte Almodóvar mit „Kika“ allerdings wieder zu seinen radikaleren und schrilleren Komödien zurück, die seine Karriere erst in Schwung gebracht hatten. Doch die gewohnt eklektizistische Mischung aus Satire, Komödie und Thriller zündet hier nicht so wie in Almodóvars früheren Werken. 

Inhalt

Die versierte wie redselige Kosmetikerin Kika (Verónica Forqué) gibt gerade einen Kurs, als sie den Auftrag erhält, im Haus des amerikanischen Autors Nicholas (Peter Coyote) nach Hause gerufen, um den Körper seines Stiefsohns Ramón (Àlex Casanovas) für die Beerdigung herzurichten. Während des Schminkens stellt Kika jedoch fest, dass wieder Farbe in das Gesicht des vermeintlichen Toten zurückkehrt. Wie sich herausstellt, leidet Ramón unter einer speziellen Herzerkrankung. Kika, die Ramón bereits während des Schminkens erzählt hat, dass sie ihn ebenso lieben könne, wie sie seinen Stiefvater liebt, beginnt eine Beziehung mit dem Modefotografen, die drei Jahre später einer harten Belastungsprobe unterzogen wird. Da kehrt Nicholas nämlich nach Madrid zurück und bittet um etwas Geld für ein Hotelzimmer. Stattdessen quartiert Ramón den abgebrannten Schriftsteller in sein Fotostudio ein, das sich ein Stockwerk über seiner Wohnung befindet. Das Verhältnis zwischen Nicholas und Ramón ist allerdings angespannt, da Ramón noch immer nicht klar ist, welche Rolle Nicholas beim Selbstmord seiner geliebten Mutter gespielt hat. 
Als Kika vom flüchtigen Pornodarsteller und psychopathischen Vergewaltiger Pablo (Santiago Lajusticia), dem Bruder ihrer Haushälterin Juana (Rossy de Palma), vergewaltigt wird, filmt ein Spanner den Vorfall von seiner gegenüberliegenden Wohnung aus und informiert die Polizei. Der Film von der Vergewaltigung landet schließlich bei der skrupellosen Sensationsreporterin Andrea Caracortada (Victoria Abril), die noch immer nicht verwunden hat, dass Ramón sie verlassen hat. Doch der Spanner hat noch mehr gefilmt als Kikas Vergewaltigung… 

Kritik: 

Schon der wie gewohnt kunstvoll gestaltete Vorspann mit dem Schlüsselloch und der dort abgebildeten Frau, die sich langsam bis auf die Unterwäsche entkleidet, und die ersten Szenen, in denen Ramón mit der Kamera seinem Unterwäschemodel im wahrsten Sinne des Wortes zu Leibe rückt, machen deutlich, dass sich Almodóvar mit „Kika“ vor allem mit dem Voyeurismus beschäftigt. Und wer Almodóvar kennt, ahnt schon, dass er dabei über alle Stränge schlägt. Das fängt bei Ramóns Beruf an, setzt sich aber auch in seinem Liebesleben fort, wo seine Besessenheit, beim Sex immer wieder innezuhalten, um Fotos vom Geschlechtsakt zu machen, allerdings zu Frust bei seiner Ehefrau führt. 
Almodóvar treibt die Lust am Voyeurismus aber noch weiter auf die Spitze: Wenn der flüchtige Vergewaltiger Pablo Kika vergewaltigt, lässt er die Grenzen zwischen Fiktion und Realität geschickt verschwimmen, als Kika ihren Peiniger bittet, doch endlich aufzuhören, er sei doch schon zweimal gekommen, worauf Pablo erwidert, dass sein Rekord bei viermal liege und er bei den Dreharbeiten für den Besten gehalten werde. Kika erwidert, dass es sich hier aber nicht um einen Film, sondern eine echte Vergewaltigung handelt, doch erst die hereinstürmenden Polizisten können den Vergewaltiger von seinem Opfer herunterzerren.  
Almodóvar unterlegt das pausenlose Rammeln des debilen Mannes mit flotter Musik, um die Absurdität des Vorgangs zu unterstreichen, doch damit ist der Vorfall noch nicht abgeschlossen. Indem die skrupellose True-Crime-Reporterin Andrea die Filmaufnahmen ungeschnitten in ihrer Sendung zeigt, macht Almodóvar deutlich, dass die Sensationslust der Medien ebenso verwerflich sei wie die Vergewaltigung selbst. 
Um die Rolle der Medien und ihrer Vertreter noch zu unterstreichen, wurde Victoria Abril in ihrer Rolle als Sensationsreporterin mit aufsehenerregenden Kostümen von Jean-Paul Gaultier ausstaffiert. Andrea, das Narbengesicht, rennt nicht nur mit laufender Kamera auf ihrem Kopf durch die Gegend, sondern schreckt bei ihren Interviews selbst nicht vor Gewalt zurück, um an publikumswirksame Stories zu gelangen. Was als Beziehungskomödie angefangen hat, entwickelt sich in der zweiten Hälfte zu einer wenig gelungenen Mischung aus Mediensatire und Thriller. Dabei bemüht Almodóvar wie gewohnt Zitate aus der Filmgeschichte, mit dem Filmplakat zu Michael Powells Klassiker „Peeping Tom“ ebenso wie mit dem Verweis auf Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ bzw. mit der weniger bekannten Musik aus „Psycho“
Während die weiblichen Figuren wie bei Almodóvar gewohnt gut ausgearbeitet sind, bleiben die männlichen Rollen recht blass und klischeehaft, der Schluss recht fade. So verständlich Almodóvars Bestreben gewesen ist, wieder zu seinen mehr humorvollen Filmen zurückzukehren, ist das Ergebnis doch sehr plakativ und unausgegoren ausgefallen. 

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