... und Gerechtigkeit für alle

Im Laufe seiner 50-jährigen Regiekarriere hat Norman Jewison in ganz verschiedenen Genres seine Duftnoten hinterlassen und wurde insgesamt siebenmal für den Oscar nominiert (sowohl für die beste Regie als auch für den besten Film). Dabei hat er sich mit leichten Stoffen wie den Komödien „Ein Rucksack voller Ärger“ und „Was diese Frau so alles treibt“ ebenso hervorgetan wie mit Musical-Filmen („Jesus Christ Superstar“, „Anatevka“) und sozialkritischen Werken („F.I.S.T. – Ein Mann geht seinen Weg“, „In der Hitze der Nacht“). In letzte Kategorie fällt auch das Justiz-Drama „… und Gerechtigkeit für alle“ (1979) mit einem überragenden Al Pacino in der Hauptrolle eines desillusionierten Strafverteidigers, der jeden Glauben an das Rechtssystem verloren hat. 

Inhalt:

Der in Baltimore praktizierende Anwalt Arthur Kirkland (Al Pacino) setzt sich gern für die Schwachen in der Gesellschaft ein, erlebt er doch tagtäglich, dass sie am meisten unter Vorverurteilungen innerhalb des Rechtssystems zu leiden haben. Das wird ihm einmal mehr vor Augen geführt, als Richter Henry Flemming (John Forsythe) bei einem seiner offensichtlich unschuldig inhaftierten Mandanten die Beweisaufnahme ablehnt, weil die Beweise drei Tage zu spät eingereicht worden sind. Um die allseits bekannte Korruption im Justizapparat zu bekämpfen, untersucht ein Komitee verschiedene Anklagen und lädt auch Kirkland zum Verhör, der die Arbeit des Komitees aber schnell als Hexenjagd und Farce betrachtet. Trotzdem lädt der aufgebrachte Anwalt das attraktive Komiteemitglied Gail Packer (Christine Lahti) abends zu einem Drink ein und beginnt eine Affäre mit ihr, die allerdings maßgeblich von Streitgesprächen über die Auffassung von Gerechtigkeit bestimmt ist. 
Als Fleming wegen Vergewaltigung angeklagt wird, soll ausgerechnet Kirkland den ihm verhassten Richter verteidigen, da die allgemein bekannte Animosität zwischen beiden Kirklands Bemühungen mehr Gewicht verleihen würde. Doch um Kirkland herum bricht eine ganze Welt zusammen: Während sein Großvater, der ihn aufgezogen hat, im Pflegeheim geistig zunehmend abbaut, ist der mit Kirkland befreundete Richter Francis Rayford (Jack Warden) stark suizidgefährdet, dreht sein Partner Jay Porter (Jeffrey Tambor) durch, nachdem er einen mutmaßlich schuldigen Mandanten rausgeboxt hatte und der nun zwei Kinder getötet hat. Schließlich verfällt auch jener Mandant dem Wahnsinn, der nach wie vor unschuldig hinter Gittern sitzt und dort bereits mehrfach vergewaltigt worden ist. Im Prozess gegen Fleming holt Kirkland zum großen Befreiungsschlag aus… 

Kritik: 

Jewison leitet „… und Gerechtigkeit für alle“ mit ebendieser Phrase ein, die als Teil des Treue-Gelöbnisses (Pledge of Allegiance) von Kinderstimmen vorgetragen wird. Die kindliche Naivität, die dabei zum Ausdruck kommt, wird aber schnell von der alltäglichen Praxis in den Gerichtssälen konterkariert, was den aufrichtigen Strafverteidiger Kirkland immer wieder auf die Palme bringt, ob durch Urteile selbstgerechter Richter wie Fleming, die keinen Hehl daraus machen, die Rechte einiger Angeklagter mit Füßen zu treten, oder durch angeblich unabhängige Komitees, die der Korruption in der Justiz auf den Grund gehen sollen, aber letztlich nichts verändern. 
Beispielhaft führen die Drehbuchautoren Valerie Curtin („Zwei dicke Freunde“, „Tödliches Spielzeug“) und Barry Levinson („Avalon“, „Sleepers“) sowie der Regisseur an Einzelschicksalen vor Augen, was Justizirrtümer mit den Betroffenen anrichten. Selbst die Leute, die für Recht und Ordnung sorgen sollen – wie Richter Rayford und Kirklands Partner Porter sind nicht vor den Folgen ihres Handelns gefeit, schnappen über oder wollen ihrem Leben gleich ein Ende setzen. 
Trotz der bedeutungsschwangeren Thematik findet Jewison immer wieder leichte, humorvolle Töne, in der Liebesgeschichte zwischen Kirkland und Packer ebenso wie in der Freundschaft zwischen dem Anwalt und Richter Rayford, was durch die teilweise leider fehl am Platz wirkenden jazzigen Pop-Klänge von Dave Grusin noch unterstützt wird. 
Doch allein Al Pacinos („Serpico“, „Scarface“) engagierte Performance als Anwalt, dem das Prinzip „Gerechtigkeit für alle“ wirklich am Herzen liegt, sorgt immer wieder für den angesagten Wechsel zwischen amüsanten Episoden und der sehr ernsten Verantwortung, die Anwälte und Richter im Rechtssystem wahrnehmen. Welch katastrophalen Auswirkungen eine allzu lasche Wahrnehmung dieser Pflichten haben kann, führt Jewisons Drama eindrücklich vor Augen. 
Wenn der Film auch hin und wieder unter der heterogenen Atmosphäre leidet, so entschädigt spätestens Al Pacinos temperamentvoller Auftritt bei Flemings Prozess für jede Schwäche. „… und Gerechtigkeit für alle“ mangelt es vielleicht an der subtilen Umsetzung der kritischen Thematik und einem einheitlichen Ton, doch ist das Drama mit so vielen starken Szenen versehen und glänzt mit superben Darstellern, dass der Film ebenso wachrüttelt wie nachhallt. 

Kommentare

Beliebte Posts