Die unheimliche Macht
Michael Mann hat sich in seiner langen Karriere als Filmemacher nie um besondere Genre-Vorlieben gekümmert und einfach die Projekte umgesetzt, die ihm interessant erschienen. An F. Paul Wilsons Bestseller „The Keep“ war dies die Möglichkeit, seine Faszination für Märchen mit Elementen des Horrorkinos zu verbinden. Nach dem Meisterwerk „Der Einzelgänger“ (1981) wirkte Manns Adaption des Romans, für die er selbst das Drehbuch verfasste, allerdings wie ein zerstückeltes B-Movie, dem nicht mal Darsteller wie Jürgen Prochnow, Gabriel Byrne, Robert Prosky und Scott Glenn Klasse verleihen konnten.
Inhalt:
Nazi-Hauptmann Woermann (Jürgen Prochnow) rückt 1941 mit einem Trupp Soldaten in ein rumänisches Dorf in den Karpaten ein, wo ein Gebirgspass gesichert werden soll. Als Unterkunft beziehen die deutschen Soldaten eine nahegelegene Burg, in der Alexandru und seine beiden Söhne wie ihre Vorfahren regelmäßig das tun, „was zu tun ist“. Niemand habe in dieser Burg je eine Nacht verbracht, Albträume würden jeden Besucher vorzeitig in die Flucht schlagen. Woermann gibt nicht viel auf den offensichtlichen Aberglauben und lässt seine Männer Quartier beziehen und Funkleitungen legen. Dabei fallen ihm nicht nur die ungewöhnliche Architektur der Festung auf, die offensichtlich nicht dazu gebaut wurde, um Feinde vor dem Eindringen abzuhalten, sondern auch funkelnde Nickelkreuze.
Alexandru warnt den Hauptmann davor, die 108 Kreuze zu beschädigen, doch seine Soldaten missachten Woermanns Anweisung. Als sich zwei Soldaten heimlich an einem der Kreuze zu schaffen machen, weil sie davon überzeugt sind, dass sie aus Silber bestehen, lösen sie dabei den mit dem Kreuz zusammenhängenden Steinblock, hinter dem sie weitere Silberschätze vermuten. Doch damit setzen sie eine unheimliche Kraft frei, die den Soldaten das Leben auspresst.
Nach und nach sterben weitere Soldaten, worauf die SS ein
Einsatzkommando unter Führung des fanatischen Sturmbannführers Kaempffer (Gabriel Byrne) in das Dorf entsandt, um die mutmaßlichen Partisanen-Aktivitäten zu unterbinden. Um ein Zeichen zu setzen, lässt Kaempfer gleich drei Dorfbewohner exekutieren und kündigt an, auch die fünf genommenen Geiseln zu erschießen, sollten die Partisanen weiterhin ihre Aktivitäten fortsetzen.
Als Woermann und Kaempfer auf eine geheimnisvolle Inschrift in der Festung stoßen, rät ihnen der örtliche Geistliche (Robert Prosky), den in einem Lager inhaftierten Experten Dr. Cuza zu Rate zu ziehen. Cuza (Ian McKellen) wird zusammen mit seiner Tochter Eva (Alberta Watson) aus dem Lager geholt und zur Festung gebracht, wo er angehalten wird, das Rätsel um die rätselhaften Todesfälle innerhalb von drei Tagen aufzulösen. Der an einer degenerativen Krankheit leidenden und an den Rollstuhl gefesselte Wissenschaftler schindet etwas Zeit, indem er sich auf angeblich neuere Untersuchungen bezieht, die er erst besorgen lassen müsste. Als Eva von zwei deutschen Soldaten vergewaltigt wird, kommt ihr der mysteriöse Glaeken (Scott Glenn) zu Hilfe, nachdem er in Griechenland auf übernatürliche Weise eine Botschaft erhalten hatte, die böse Macht zu besiegen. Er verliebt sich in Eva und verfolgt seine Mission, doch die unheimliche Macht versucht derweil, Dr. Cuza als Verbündeten zu gewinnen, indem sie ihn von seiner Krankheit erlöst…
Kritik:
Dass Michael Mann die Verfilmung von „The Keep“ ursprünglich als drei- oder gar vierstündigen Film geplant hatte, merkt man dem Endergebnis leider deutlich an. Auf Drängen des Studios wurden viele Szenen geschnitten, so dass der Film keinen wirkungsvollen dramaturgischen Fluss entwickelt. Ebenso wie Ridley Scotts zwei Jahre später vollzogene Ausflug ins Genre der Dark Fantasy fesselt „Die unheimliche Macht“ vor allem durch die Filmarchitektur, weniger durch die Geschichte und die Figuren.
Mann ließ sich bei der Architektur der Festung und der faszinierenden Beleuchtung ebenso von den deutschen Expressionisten F.W. Murnau und Fritz Lang wie von Adolf Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer inspirieren. Auch die Kameraarbeit von Alex Thomson („Excalibur“, „Legende“), die Designs von Enki Bilal und die sphärisch-düstere Musik von Tangerine Dream („Der Einzelgänger“, „Near Dark“) tragen zum Genuss der rein filmtechnischen Zutaten bei.
Die Story und ihre Inszenierung leiden allerdings unter der klischeehaften Darstellung der Nazis, den hölzernen Dialogen, der unausgereiften Verquickung des absoluten Bösen mit der Nazi-Ideologie und mythologischen Versatzstücken. Mit der konkreten Darstellung der „unheimlichen Macht“ als menschenähnliche Kreatur mit Science-Fiction-Zügen verliert der Film allerdings seine letzte Trumpfkarte. Die einzelnen Figuren bleiben dabei leider auch zu blass. Jürgen Prochnow („Das Boot“, „Das siebte Zeichen“) darf seiner Figur wenigstens noch menschliche Züge verleihen, während Gabriel Byrne („Miller’s Crossing“, „End of Days“) als absolut bösartiger Nazi kein Spielraum bleibt, etwas aus seiner Rolle zu machen. Einzig Ian McKellen („Der Herr der Ringe“-Trilogie, „Gods and Monsters“) kann dem jüdischen Geisteswissenschaftler in der direkten Auseinandersetzung mit der unheimlichen Macht sein Können unter Beweis stellen.
Wer weiß, was aus „The Keep“ geworden wäre, wenn Michael Mann seine künstlerischen Visionen ohne Einschränkungen hätte umsetzen können. So bleibt das Drama, das den klischeehaften Bezug auf die Schreckensherrschaft der Nazis gar nicht nötig gehabt hätte, ein unausgegorenes Dark-Fantasy-Spektakel, das fraglos zu Manns schwächsten Arbeiten zählt.
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